Dabei haben wir noch nicht einmal über die Wirtschaftlichkeit solcher Pandemie-Events und -Festivals gesprochen. Zweifelsohne könnte niemand auf längere Sicht Konzerte mit so wenigen Menschen kostendeckend, geschweige denn Gewinn abwerfend veranstalten. Damit ist schon mal klar, dass das Ganze keine wirkliche Zukunft besitzen kann. Jedenfalls keine Perspektive in einem wie auch immer gearteten, gewinnorientiert arbeitenden Privatsektor - so, wie er Jahrzehnte lang reibungslos klappte.
Was offenbar hervorragend funktioniert, wie viele von uns in den vergangenen Monaten auch am eigenen Leib verspürt haben dürften: Die dem Reeperbahn-Festival angeschlossene Konferenz-Sektion wurde fast ausschließlich virtuell durchgeführt. Das digital angelegte kostenpflichtige Programm für die Fachbesucher wurde von Menschen aus 37 Nationen genutzt, wie der Veranstalter mitteilt. Die Webinare, Sessions, Workshops und Showcases zeigten schon mit ihren Headlines auf, was der Zeitgeist an Themen vorgibt: "Deutsch-Rap verstehen, erklären und kritisieren" und "Die Macht der Playlisten" oder "Geschäftsmodell Podcast" - und leider auch "Konzertbranche: Stillstand im Mittelstand". Womit sich der Kreis schließt.
Ach ja, um Musik ging es natürlich auch noch. Da aber, Corona-bedingt, fast nur einheimische und mitteleuropäische Acts anreisen konnten, blieb die Auswahl doch sehr begrenzt - und dementsprechend auch der Erkenntnisgewinn: Vor allem überzeugten bereits semi-bekannte Acts wie die US-amerikanische Hip-Hop-Künstlerin Akua Naru und ihre perfekt zwischen Rap, Soul, Jazz und afrikanischer Weltmusik eingespielte Band. Naru erklärte dem erstaunten Auditorium, dass sie 15 Corona-Tests über sich ergehen lassen musste, um beim Festival dabei sein zu dürfen.
Überzeugen konnte natürlich auch eine längst größerem Publikum bekannte Band wie das Quintett Milliarden, das die Version 2.0 der Gruppe TonSteineScherben repräsentiert. Running Gag mit bitterem Beigeschmack bei so einigen Konzerten auf St. Pauli: die Ansage, das gerade zu hörende Live-Set sei Tour-Auftakt und Tour-Ende 2020 in einem.
Und doch ist man schlussendlich froh, nach einem halben Jahr überhaupt mal wieder Rock- und Pop-Konzerte erleben zu dürfen - auch wenn diese untypisch allesamt längst vor Mitternacht beendet waren. Denn trotz all der Umstände, die ganz bestimmt niemand Spaß gemacht haben dürften: Die Alternative wäre derzeit ... gar nichts.