Handwerk ist überall gefragt „Lieber Meister als Master“

Umringt wie ein Popstar war Ministerpräsident Markus Söder am gestrigen Freitagvormittag in der Alexander-von-Humboldt-Mittelschule, wo er mit vielen Schülern Selfies machte. Foto:  

Ministerpräsident Markus Söder besucht in Marktredwitz die Humboldt-Mittelschule, wo es 72 Prozent Ausländer gibt. Bei einer Job-Messe zeigen Unternehmen, was sie den Schülern bieten können.

 
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Einen extrem gut gelaunten und zu Späßen aufgelegten Ministerpräsidenten haben Schüler, Lehrer und Lokalpolitiker am gestrigen Freitag in der Alexander-von-Humboldt-Mittelschule in Marktredwitz erlebt. Markus Söder hat zum Job-Spot, der Ausbildungsmesse mit 24 Firmen, aber auch den notwendigen Ernst mit im Gepäck und bricht eine Lanze für die Mittelschüler, „denen alle Wege im Berufsleben offenstehen“. Über eine Stunde ist er zu Gast in der größten Mittelschule Oberfrankens, die 460 Schüler in 24 Klassen besuchen. Eine Schule mit 72 Prozent Migrationsanteil.

Selfies ohne Ende

Mit Applaus begrüßen die Acht-, Neunt- und Zehntklässler den bayerischen Ministerpräsidenten in ihrer Schule. Und als er wieder geht, feiern sie ihn fast wie einen Popstar. Dicht umringt, bitten die jungen Menschen, denen er gerade so viel Hoffnung gemacht hat, um Autogramme und Selfies. Noch eins, noch eins, und noch eins...

„Fast wie ein Robinson-Club“

„Ihr habt echt eine super Schule. Das ist ja hier fast wie ein Robinson-Club“, meint er anerkennend. „Ich kenne da ganz andere Schulen. Ihr habt hier wirklich die besten Möglichkeiten.“ Ganz so rosig wie der Ministerpräsident das sieht, sehen es Schüler und Lehrer nicht unbedingt. Sie fühlen Markus Söder auf den Zahn, löchern ihn mit Fragen. Paula Schwartz, Florian Reindl und Naravit Roth wollen wissen, „warum Mittelschüler nicht so hoch angesehen sind wie Realschüler oder Gymnasiasten?“. Söder betont: „Das ärgert mich. Denn nicht der Abschluss ist entscheidend. Wissen ist wenig, Können ist König. Und hier sitzen die Könige!“

Eltern oft der Knackpunkt

Er weiß auch, woran es hakt. „Wir müssen das den Eltern ein bisschen besser erklären.“ Sie sollten ihre Kinder nicht unter Druck setzen. Dass Handwerk noch immer goldenen Boden hat, kommt bei Söder klar zum Ausdruck. Und das belegt er mit einer persönlichen Misere: „Bei uns daheim ist in der Küche etwas kaputt gegangen. Ich hätte 20 Juristen haben können, aber niemanden, der das repariert.“ Der Ministerpräsident appelliert an die jungen Leute: „Macht das, was euch am Besten liegt und euch erfüllt. Es darf nicht nur ums Geldverdienen gehen, sondern man muss sich auch verwirklichen können.“

Das Thema Geld beschäftigt die Jugend dennoch. „Warum wird Pflege so schlecht bezahlt?“, treibt eine Schülerin um. Söder zollt erst einmal allen Pflegern großen Respekt und betont, dass es finanziell mittlerweile nach oben gehe. „Und der Beruf hat viele Optionen und Möglichkeiten. Außerdem tut man wirklich etwas Gutes.“

Hilfe für Mädchen aus dem Libanon

„Eine Mitschülerin aus dem Libanon bekommt keine Arbeit, wenn sie die Schule verlässt, weil sie keine Zulassung erhält“, beklagt Schülersprecher Florian Reindl. Der Ministerpräsident will unbürokratisch helfen: „Am einfachsten gebt ihr die Unterlagen meiner Mitarbeiterin mit. Dann schauen wir, wie wir sie unterstützen können.“

Franke mit Schalk im Nacken

Söder outet sich als mittelmäßiger Schüler, „der in Latein schlecht und in der Pubertät unglücklich und erfolglos verliebt war“. Und auf die Frage, ob er als Politiker schon einmal zu einer Notlüge hat greifen müssen, versichert er: „Nein!“ Und mit dem Schalk im Nacken, den der Franke heute mit an Bord hat, wendet er sich an Landtagsabgeordneten Martin Schöffel: „Du auch nicht, Martin, oder?“ Eigentlich habe er gar nicht Politiker werden wollen, meint der Ministerpräsident. Aber „zu viele Schlaumeier“ hätten ihn dazu getrieben, eine eigene Meinung zu entwickeln. „Transparenz, Offenheit und Höflichkeit“ sind Söders Zutaten, um überall im Beruf bestehen zu können. Und man dürfe nicht versprechen, was man nicht halten kann, ermahnt er.

In Mathe, Physik und Deutsch schwach

Von einem „schweren Rucksack, den die Mittelschulen zu tragen haben“, spricht Detlef Sachs, Ausbilder bei Vishay in Selb, in der Gesprächsrunde. Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit sei nicht gut, unterstreicht er und bittet Söder um Unterstützung. Sachs selbst kommt aus der Hauptschule, wie er sagt, hat ein Handwerk erlernt und schließlich BWL studiert. „Es sind also viele Möglichkeiten für Mittelschüler da.“ Und die Lehrer an den Mittelschule leisteten Gewaltiges. Aber: „Die Qualifikation in Mathe, Physik und Deutsch lässt in den letzten Jahren immer mehr nach.“

Weltweit nachgefragt

Söder sieht den Grund unter anderem in dem hohen Anteil der Migration. Sprich: Fast Dreiviertel der Mittelschüler in Marktredwitz sind Ausländer. Während es beispielsweise an Gymnasien, wo der Anteil wesentlich geringer ist, hoch engagierte Eltern gebe, die hinter den Schülern stünden, sei dies aufgrund der Migration hier weniger der Fall. Söder lobt jedoch das „tolle Potenzial der jungen Leute an der Mittelschule“ und verspricht mehr Lehrkräfte, mehr Investitionen in den Mittelschulen und Berufsschulzentren. Die deutsche berufliche Ausbildung ist laut Söder „weltweit eine der besten und nachgefragt“. Nur im eigenen Land rede man das manchmal schlecht, bedauert der Ministerpräsident.

Zu wenig Manpower

Um die Schüler bestens auf das Arbeitsleben vorbereiten zu können, brauche es Manpower, unterstreicht Schulleiter Andreas Wuttke. „Aber der Lehrermangel zeichnet sich dramatisch ab. Um das Niveau halten zu können, braucht es mehr Lehrer.“ Söder versichert, ohne Genaueres zu sagen: „Wir basteln gerade an einem großen Paket.“ Ein Problem sieht Wuttke in der Besoldung. „Es gibt etliche Kollegen, die bei uns arbeiten würden, aber sie studieren dann doch lieber Lehramt für Realschule oder Gymnasium, weil die Besoldungsstufe höher ist. Da muss man an den Stellschrauben drehen.“

Stiefmütterlich

Die Mittelschule werde immer etwas stiefmütterlich behandelt und stehe ein bisschen im Schatten, beklagt Wuttke. „Aber unsere Schüler und Lehrer sind es wert, wertgeschätzt zu werden.“ Die Humboldt-Mittelschule sei besonders fortschrittlich und habe Glasfaser bis ins Klassenzimmer. 80 Schüler schließen laut Schulleiter jährlich mit dem Quali oder Mittelschulabschluss ab, 50 gehen mit der Mittleren Reife raus.

„Total coole Schüler“

Vor der Gesprächsrunde und dem Rundgang durch den Job-Spot begrüßt Oberbürgermeister Oliver Weigel den Ministerpräsidenten in der Schule: „Wir möchten Ihnen demonstrieren, welch hervorragende Arbeit hier geleistet wird.“

Der Ministerpräsident greift zum quietschenden Mikrofon – „oh, bis hier ist die Glasfaser aber nicht gekommen“ – und richtet ein dickes Lob an die Schüler, die zwei harte Corona-Jahre bestens gemeistert hätten. „Ihr wart total cool.“ Und man müsse nicht studieren. „Zwischen Meister und Master ist überhaupt kein Unterschied mehr“, betont er. Als Meister verdiene man tolles Geld.

Lieber Leberwurst- als Butterbrezen

„Ich habe den Bachelor gemacht.“ – „Ach, Du hast auch eine Rose bekommen?“ Mit kessen Sprüchen hat Markus Söder die Schüler schnell auf seiner Seite und versichert, dass eine handwerkliche Ausbildung ein solides Fundament sei.

Davon wollen die 24 Betriebe aus der Region die Schüler bei der Ausbildungsmesse überzeugen. Workshops laden dazu ein, selbst Hand anzulegen, kleine Werkstücke zu produzieren. Auch Söder muss ran, nachdem er in der Küche, wo das Backhaus Kutzer für Bäcker wirbt, eine Butterbreze geschmiert bekommt. „Ich bin ja mehr ein großer Fan von Leberwurstbrezen“, gesteht der Ministerpräsident.

Für Maggus und Beder

Bei der Firma Müssel muss Söder zur Feile greifen. „Ich wusste nicht, dass ich hier arbeiten muss!“ Er wünscht sich seinen Namen in „fränggisch, nämlich Maggus“, in Lasertechnik gestanzt. Kriegt er. Auch für „Beder“. Denn Landrat Peter Berek hat heute 54. Geburtstag. Ein Jahr jünger als Söder, „aber des sieht ma net“, frotzelt der. Bei Cube dreht der Ministerpräsident noch kurz am Rad, outet sich als „handwerkliche Nulpe“, wirbt für Pflege- und die vielen anderen Handwerksberufe, ehe er, umringt von jungen Fans, für ein Selfie nach dem anderen in die Kamera lächeln muss.

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