Seine Gedanken schreibt der akribische Arbeiter, den Eisenbichler immer wieder als "Denker" charakterisiert, gerne und häufig in einem Notizbuch auf. Auch, um für zukünftige Situationen und Problemfälle zu lernen, "wie ich mich da vielleicht aus der Scheiße rausgeholt habe". Auf die Frage, was er zum WM-Coup von Oberstdorf in sein Büchlein niederschreibe, scherzte Geiger: "Grundsolide."
Der packende Wettkampf, bei dem Geiger mit 103,5 und 102 Metern auf der Normalschanze zwischen Zyla und dem Slowenien Anze Lanisek landete, ist für den Deutschen auch der vorläufige Höhepunkt einer langen Reise. Bei der letzten Heim-WM 2005 in Oberstdorf hatte er noch die Fahne Kasachstans getragen und als Kind im gleichen Stadion für die spätere Sportlerkarriere geschuftet. Diese Saison erscheint Geigers hochemotionales Auf und Ab wie aus einem Drehbuch, das selbst manchem Autor zu kitschig wäre. In Kurzfassung: Pause, Gold, Vater, Corona, Tournee-Erfolg, Formtief, WM-Medaille. Was ein Winter.
Dass trotz des Zuschauerausschlusses ein paar Freiwillige auf der Tribüne zusehen konnten und bei der Siegerehrung "Karle, Karle" riefen, bewegte Geiger. "Ich bin extrem stolz auf meinen Ort. Hut ab vor der Organisation, genial. Was da auf sich genommen wurde, muss man erstmal so hinkriegen", sagte der Lokalmatador. In der zweiten Woche gibt es auf der Großschanze, wo Coach Horngacher ihn "zu den Favoriten" zählt, sogar noch die Chance auf ein filmreifes Ende des märchenhaften Triumphzuges: mit einer Goldmedaille in dem Ort, in dem für Karl Geiger alles begann.
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