Gerhard K. kennt die Sätze genau, erinnern kann er sich an gar nichts. Die Folgen werden ihn ein Leben lang beeinträchtigen, sagen die Ärzte. Sein Sehvermögen ist massiv eingeschränkt, er sieht Doppelbilder und kann selbst am Tag Bordsteine oder Stufen nicht erkennen. Seinen Geruchs- und Geschmackssinn hat er verloren. Weitere Strecken zu Fuß kann er nicht laufen. Bis heute ist er krankgeschrieben. „Sein Leben hing am seidenen Faden“, sagt seine Partnerin. Die Frage nach dem Warum dieser Tat verfolgt sie. „Niemandem hat er je etwas getan.“
Was beide zudem schwer belastet: Gerhard K. hat durch den Vorfall seine Arbeit als Maschinenführer verloren, die ihm viel bedeutete. Dort entließ man ihn in der Probezeit, die Kündigung bekam er noch während seines Krankenhaus-Aufenthalts. Wegen der körperlichen Beeinträchtigungen wird der 60-Jährige nun Frührente beantragen müssen, obwohl er gerne weiter arbeiten würde. Nun muss er mit wesentlich weniger Geld auskommen und hat Schulden angehäuft, weil die Krankenkasse nicht alle Leistungen für seine Behandlung in Krankenhaus und Reha-Klinik bezahlte. Er beziffert sie auf 1500 Euro. Er möchte versuchen, Opferhilfe über den Weißen Ring zu beantragen, aktuell fehlt ihm sogar das Geld für Winterkleidung. Dazu kommt, dass er durch seine Arbeit die Chance sah, in eine andere Wohnung umzuziehen. Die jetzige ist sanierungsbedürftig, die Heizung veraltet. „Als Arbeitnehmer findet man etwas, aber wenn die Vermieter Hartz IV hören, wimmeln sie dich ab.“
Zurück zu den Tätern: Die Polizei hat alle gefasst, den Anstifter traf sie am Morgen trinkend und feiernd in Kulmbach an. In der Gerichtsakte steht, dass man den Geschädigten durch Zufall zeitnah am Bahnhof liegend fand. Gerhard K. berichtet, dass es ein Mitarbeiter der Bahn gewesen sei, der ihn rettete. Die Jugendlichen hat er bei der Verhandlung zum ersten Mal gesehen. Entschuldigt haben sie sich nicht – nicht direkt zumindest. „Ihre Anwälte haben sie wohl überredet, ein paar Zeilen aufzusetzen.“ Den hingeschmierten Text voller Rechtschreibfehler habe er als Hohn empfunden, die Jugendstrafen von einmal sechs und zweimal drei Jahren Haft als viel zu milde. Er befürchtet, dass sie vorzeitig auf Bewährung rauskommen. „Das ist erschreckend und traurig.“
Wird er ihnen je vergeben können? „Nein.“ Da überlegt er keine Sekunde. Es ist das erste Mal, dass seine Stimme derart hart klingt. Verbittert wirkt Gerhard K. nicht. Als das Urteil fiel, habe er für sich beschlossen, dass die Tat fortan keinen Raum mehr in seinem Leben einnehmen darf. Nicht mehr, als sie zwangsläufig durch ihre Folgen beansprucht. Seine Mutter hat er seit dem Vorfall kein einziges Mal mehr im Kulmbacher Altenheim besuchen können. Würde er es tun, müsste er am Tatort aussteigen.
Aufruf
Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, Gerhard K. helfen wollen, überweisen Sie Ihre Spende auf das Konto von „Hilfe für Nachbarn“ bei der Sparkasse. Die Spenden sind absetzbar. Für Beträge von mehr als 300 Euro gibt es eine Spendenquittung (Adresse vermerken). Für kleinere Beträge reicht der Kontoauszug zur Vorlage beim Finanzamt. Online-Banking-Kunden können über den Girocode spenden.
IBAN DE 29 7805 0000 0220 0204 16
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