„Hilfe für Nachbarn“ Mutter und Tochter fangen bei Null an

Beim Brand in der Marienstraße haben Marion W. und ihre Tochter ein Trauma erlitten. Foto: Stadt Hof/Plochberger

Nach dem Großbrand in der Hofer Marienstraße müssen sich Mutter unter Tochter ihr Leben völlig neu aufbauen. Weil die 45-Jährige zurzeit nicht abeiten kann, hat sie Angst vor der Zukunft.

 
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Die Augen schließen, in Gedanken die eigene Wohnung ablaufen, Zimmer für Zimmer, und sich dann vorstellen: Alles wäre weg. Marion W. und ihre Tochter Laura (Namen von der Redaktion geändert) haben in dem Haus in der Marienstraße gewohnt, in dem im August der Großbrand ausbrach, eines der schlimmsten Feuer in der Hofer Innenstadt seit vielen Jahren. Die Mittvierzigerin spricht von einem Unglück und Glück zugleich: „Uns ist nichts passiert, was wäre gewesen, wenn das Feuer nachts ausgebrochen wäre?“ Fragen treiben sie um, das Erlebte verfolgt sie. Mutter und Tochter erzählen, dass sie keine Sirene mehr ertragen, geschweige denn ein Lagerfeuer riechen können. „Da ist sofort Panik“, sagt Laura.

Die damals 16-Jährige entdeckt das Feuer an jenem sonnigen Augusttag als Erste. In ihrem Zimmer fällt ihr ein seltsamer Geruch auf, vor dem Fenster flimmert die Luft, sie ruft die Mutter. Gemeinsam stürmen sie aus der Wohnung, klopfen noch bei Nachbarn, wählen den Notruf und stehen dann bis zum späten Abend in sicherem Abstand vor dem brennenden Haus. „Meine Tochter hat am ganzen Körper gezittert“, erinnert sich die Mutter. Was ihr von diesen Stunden im Kopf bleibt: Schaulustige, die ihre Kameras auf das Haus halten, Rot-Kreuz-Helfer, die sie untersuchen und ihnen als Unverletzte ein grünes Schild umhängen, ein Pfarrer, der zufällig auf seinem Spaziergang am Brandort vorbeikommt und fragt, ob sie etwas brauchen, Trost spendet. „Ich weiß nicht mal, wie er heißt, aber er war ein Lichtblick.“

In der Notunterkunft in der Jahnturnhalle müssen Marion W. und ihre Tochter nicht übernachten. Sie kommen bei ihrer Nichte unter, obwohl deren Wohnung klein ist. Schlaflos verbringen sie dort die ersten Nächte. „Zunächst ist man voll Adrenalin, dann stürzt alles auf einen ein.“

Die Alleinerziehende hat Angst vor der Zukunft – noch immer, obwohl sie seit Oktober eine Wohnung gefunden hat, die möbliert ist. „Eigentlich war sie für Studenten gedacht“, erzählt sie, der Vermieter habe sich umentschieden, als er ihre Geschichte hörte. Marion W. ist ihm unendlich dankbar.

Der Anblick der verbrannten Wohnung hat sich bei Mutter und Tochter eingeprägt. Eine Woche nach dem Feuer dürfen sie dort hin. „Man weiß, was einen erwartet und dann ist es trotzdem ein Schock.“

Was Marion W. neben dem markanten Geruch haften bleibt: Möbel, Tapete, Bücher – alles hat seine Farbe verloren, entweder durch Flammen oder Löschwasser. „Die Wohnung war schwarz-weiß“, erinnert sie sich. Sie öffnet dort verkohlte Schränke, findet verschmorte Fotoalben mit zusammengeklebten Seiten. Einen unversehrten Wäscheständer trägt sie aus dem Schwarz nach draußen. Dinge, die ihr wichtig waren, findet sie darin nicht mehr. „Ich bin jetzt Mitte vierzig und fange bei null an.“ Sie sucht ein passendes Wort für das Gefühl: „Wie weggepustet.“ Sie vermisst alte Fotos von ihrer Mutter, Babybilder der Tochter, aber auch kleine Dinge, die „einfach zum Leben gehören“ – Topfpflanzen etwa.

Eine erste Hilfe nach dem Brand bekommt sie von der Diakonie, dort gibt man ihr etwas Bargeld und Gutscheine für Kleidung. Auch dieser erste Einkauf bleibt haften: „Wir waren völlig überfordert, weil wir einfach alles brauchten, Dinge, die man sonst im Schrank hat wie Unterwäsche oder Zahnbürsten.“ Als eine Verkäuferin erfährt, dass Mutter und Tochter nur ein begrenztes Budget für den Großeinkauf zur Verfügung steht, gibt sie aus eigener Tasche 50 Euro für Schuhe dazu. Das berührt Marion W. bis heute, genauso wie aufmunternde Worte, die sie hört, wenn durch Zufall herauskommt, dass sie eines der „Brandopfer“ ist. Beim Zahnarzt etwa, wenn sie ihre neue Adresse angibt. Die Menschen fühlen mit, wenn sie von ihrem Schicksal hören, sagt sie. Ein Trost sei das.

Alleingelassen kam sie sich dennoch vor. Vonseiten der Stadt hätte sie sich einen Ansprechpartner für die Geschädigten des Großbrandes gewünscht. Jemanden, der sagt, was nach und nach zu tun ist. Stattdessen habe sie alles allein versucht zu managen und sich schließlich an die Diakonie und Familie im Zentrum „FiZ“ gewandt.

Mutter und Tochter werden seit dem Brand psychologisch betreut, beide haben ein Trauma erlitten. Marion W. ist Verkäuferin und arbeitete zuletzt als Reinigungskraft. Zur psychischen Belastung kommt eine körperliche Beeinträchtigung dazu, wegen der sie aktuell keine Arbeit suchen kann. Sie muss sich operieren lassen und hofft, dass sie danach wieder eine Stelle findet.

Ihr größter Wunsch wäre es, nicht jeden Cent umdrehen zu müssen. Unvorhersehbare Ausgaben ängstigen sie. „Das könnte uns aus der Spur werfen.“ Nach ihrem Weihnachtswunsch gefragt, überlegt Laura zunächst. Dann sagt sie: „Dass alles wieder normal wird.“ Der kleine Christbaum, den sie sonst immer aufstellen, ist verbrannt. An Weihnachten denkt Marion W. ungern. Darauf angesprochen, fällt es ihr schwer, Tränen zurückzuhalten, die Stimme wird leise: „Wir sind dankbar. Uns ist nichts passiert.“

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, Marion W. helfen wollen, überweisen Sie Ihre Spende auf das Konto von „Hilfe für Nachbarn“  bei der Sparkasse. Die Spenden sind  absetzbar. Für Beträge von mehr als 200 Euro gibt es eine Spendenquittung (Adresse vermerken).  Für kleinere Beträge reicht der Kontoauszug zur Vorlage beim Finanzamt. Online-Banking-Kunden können über den Girocode spenden. IBAN DE 29 7805 0000 0220 0204 16,  BIC: BYLADEM1HOF

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