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Hof "Sehe den Zuzug mit wachsender Besorgnis"

Monat für Monat erhöht sich die Zahl der Einwohner in Hof um 160 Personen mit Migrations-Hintergrund. Das könne so nicht weitergehen, sagt der Hofer Oberbürgermeister.

 
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Herr Fichtner, Hof, einst über 50 000
Einwohner groß, war in den vergangenen
Jahren drastisch auf 44 600 Einwohner
geschrumpft. Nun heißt es aus dem
Rathaus, die Stadt wächst. Stimmt das?

Beispiel: Salzgitter

Ähnlich wie Hof hat Salzgitter in Niedersachsen hohen Leerstand an Wohnungen. Dieser günstige freie Wohnraum zieht seit einiger Zeit vor allem anerkannte Flüchtlinge in die Stadt. Dort hat sich eine "syrische Community" gebildet, teilt die Stadt mit. Hintergrund sei das - verständliche und nachvollziehbare - Begehren der Geflüchteten, in Bereiche mit familiärer Anbindung und guten muttersprachlichen Angeboten zu ziehen. Der Zuzug hält weiter an.

Der Mittelwert des Einwohnerzuwachses lag in den letzten Monaten bei durchschnittlich 129 Personen. Für die tatsächlichen Zuzüge beträgt der monatliche Mittelwert 569 Personen. Zum 30. Juni 2017 lebten bereits 5555 Flüchtlinge in Salzgitter, das 106 000 Einwohner zählt. Dies war Anlass für Oberbürgermeister Frank Klingebiel, einen Brandbrief an Ministerpräsident Stephan Weil zu schreiben und auf "den enormen Handlungsdruck" hinzuweisen. "Wir brauchen eine Pause beim Zuzug, um uns mit voller Kraft auf die herausfordernde Integrationsleistung der bereits hier lebenden Flüchtlinge konzentrieren zu können", so der OB, der auch Präsident des niedersächsischen Städtetags ist. Seine Sorge: Es drohe der soziale Frieden in Salzgitter zu kippen. K. D.

Blick nach Oberfranken

Schon in Oberfranken ist der Zuzug an Flüchtlingen sehr unterschiedlich spürbar. Das macht sich auch in den Zahlen der Arbeitsagentur Bayern bemerkbar.

3366 Bedarfsgemeinschaften mit mindestens einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Kontext von Fluchtmigration listet die Statistik für ganz Oberfranken auf. In der 47 193 Einwohner zählenden Stadt Hof sind im Jobcenter für die Stadt 550 Bedarfsgemeinschaften mit Flüchtlingshintergrund gemeldet, in Coburg-Stadt sind es nur 189 (41 420 Einwohner). 258 sind es im Bereich des Jobcenters Bayreuth-Stadt (rund 72 00 Einwohner) und in Bamberg-Stadt 394 Bedarfsgemeinschaften (bei rund 73 000 Einwohnern).

In ganz Bayern sind es übrigens 41 178 Bedarfsgemeinschaften mit Hintergrund Fluchtmigration. Das Jobcenter Nürnberg-Stadt der Franken-Metropole mit ihren rund 527 000 Einwohnern verzeichnet laut Arbeitsagentur Bayern 3026 Bedarfsgemeinschaften.

"67,7 Prozent der arbeitssuchenden Personen im Kontext Fluchtmigration sind mit dem Anforderungsniveau 'Helfer' gemeldet", teilt Pressesprecherin Olga Saitz von der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Bayern, mit. Das bedeutet, diese Hilfesuchenden haben wenig bis keine Schulbildung und müssen die Sprache erst noch erlernen und sich Qualifizierungen erwerben, bis sie den Weg auf den ersten Arbeitsmarkt finden werden.

Die Stadt Hof verzeichnet bereits seit einigen Jahren mehr Zuwanderer als Abwanderer - das war also auch vor der Flüchtlingskrise so und ist ein durchaus positiver Trend, der seinen Ursprung zum Beispiel im Erfolg der Hofer Hochschulen hat. Neu ist, dass die Zuzugszahlen auch den sogenannten Sterbeüberschuss der letzten Jahre deutlich in den Schatten stellen.

Wie haben sich in den vergangenen zwölf Monaten die Einwohnerzahlen entwickelt? Wie viele Einwohner hat Hof zurzeit?

Die aktuelle Einwohnerzahl zum 30. Juni 2017 beträgt laut Einwohnermeldeamt 47 193 Personen. Dieser Anstieg ist nun zu ganz enormen Teilen auf die Flüchtlinge zurückzuführen. Die Zahl der in Hof lebenden ausländischen Staatsangehörigen hat sich innerhalb der letzten fünf Jahre von zirka 4500 auf derzeit knapp 7700 Personen erhöht. Die Ausländerquote beträgt mittlerweile 16 Prozent.

Hof hat nach Salzgitter den zahlenmäßig größten Zuzug an anerkannten Asylbewerbern. Die bundesweite Statistik belegt, dass vor allem eine Steigerung der Bevölkerung im Bereich der Altersgruppe 18 bis 30
vorliegt. Ist das auch die Gruppe, die in Hof am meisten wächst?

Bei den in Hof lebenden Ausländern ist dies eindeutig der Fall. Nachdem die Bevölkerungssteigerung maßgeblich aufgrund des Zuzugs von Ausländern begründet ist, dürfte dies auch die allgemeine Tendenz darstellen. Der Anteil von ausländischen Staatsbürgern an der Alterskohorte der 20- bis 30-Jährigen ist sicherlich noch einmal deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Dieser Trend ist aktuell ja fast deutschlandweit vorhanden. Auch die Geburtenquoten der Zugewanderten ist eine höhere als in der Gesamtbevölkerung, weshalb es diese Entwicklung auch bei den Jüngsten der Gesellschaft gibt.

Sehen Sie das positiv?

Grundsätzlich tragen wir als Stadt im Rahmen unserer Möglichkeiten gerne zur Bewältigung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe bei. So haben wir als eine der ersten Städte in Bayern eine Flüchtlingskoordinatorin eingestellt. Auch die Infrastruktur, der Helferkreis und die vorhandenen Angebote diverser Träger tragen neben günstigem Wohnraum sicherlich zu dem hohen Zuzug bei. Das kann in gewissem Umfang für eine Stadt mit älterer Demografie absolut auch eine Chance sein. Ich sehe aber die aktuellen Zahlen von über 160 Zuziehenden aus fremden Kulturkreisen im Monat mit wachsender Besorgnis. Wir sind eine Stadt mit nur begrenzten Kapazitäten.

Das heißt, Sie befürchten Ungleichgewichte?

Aus der Erfahrung wissen wir: Je größer die Gruppe der Neuankömmlinge ist und je mehr man sich im Kreis von Landsmännern und -frauen bewegt, desto schlechter lernt man zum Beispiel die Sprache des neuen Landes. Ganz praktisch: Es ist zum Beispiel ein Unterschied, ob ein Sportverein im Training drei oder 13 Flüchtlinge integrieren soll. Wir müssen schon aufpassen, dass wir nicht dauerhaft eine Parallelwelt bekommen, die in Sprache, Werten und Rechtsverständnis nicht mehr in unsere Gesellschaft eingegliedert werden kann - so wie das in manchen französischen Großstädten, aber auch in manchen Stadtvierteln deutscher Städte schon passiert ist. Diese Gefahr sehe ich durchaus, wenn die Zuzugszahlen zu hoch werden.

Gibt es Stadtteile, die einen besonders hohen Zuzug verzeichnen?

In Hof ist es so, dass weite Teile der Zuziehenden im Bahnhofsviertel oder in anderen Teilen der Innenstadt ihre neue Heimat finden. In einigen Klassen der Sophienschule beträgt der Ausländeranteil nahezu 100 Prozent.

Jeder anerkannte Asylbewerber hat Anrecht auf Familiennachzug. Liegen bereits Anträge vor - und, falls ja,
wie viele?

Der Ausländerstelle liegt aktuell eine dreistellige Zahl an Anträgen vor. Darüber hinaus konnten Syrer direkt über ein Onlineverfahren des Bundesverwaltungsamtes einen Antrag stellen, sodass eine genaue Zahl nicht bekannt ist. Weiter ist der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten bis März 2018 ausgesetzt. In der Folge ist ab diesem Zeitpunkt mit einer weiteren Antragswelle zu rechnen.

Wie muss man sich das vorstellen: Wie viele Familienangehörige lässt das deutsche Recht hier zu?

Der Familiennachzug ist grundsätzlich auf die Kernfamilie - Ehefrau/Ehemann, minderjährige Kinder - beschränkt. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge können Eltern und minderjährige Geschwister nachholen. Eine zahlenmäßige Begrenzung der nachziehenden Familienmitglieder pro Flüchtling existiert im Aufenthaltsgesetz nicht. An mehreren Stellen der aktuellen Rechtslage muss man aus meiner Sicht schon die Frage stellen dürfen, ob unser Rechtssystem und damit auch unsere aktuelle Rechtsprechung auf die derzeitige Lage ausgelegt sind.

Werden damit dann, wie manche am Stammtisch befürchten, durch die Hintertür auch Vielehen anerkannt?

Die Prüfung des Familiennachzugs erfolgt maßgeblich durch die deutschen Auslandsvertretungen. Ein Familiennachzug von beispielsweise mehreren Ehefrauen wird nach unserer Kenntnis nicht genehmigt.

Wie sieht es beim Nachzug minderjähriger Ehepartner aus? Diese wurden jüngst per Gesetz als ungesetzlich eingestuft.

Der Nachzug minderjähriger Ehegatten wird nach hiesigem Kenntnisstand ebenfalls nicht genehmigt. Bei Personen, die sich bereits in Deutschland aufhalten, erfolgt bei Bekanntwerden einer Kinderehe die Einschaltung des Jugendamtes.

Zurück zum Familiennachzug: Wer entscheidet über das Ersuchen?

Die Entscheidung erfolgt maßgeblich durch die deutschen Auslandsvertretungen unter Beteiligung der jeweils örtlich zuständigen Ausländerbehörde. Bei syrischen Staatsangehörigen existiert eine Globalzustimmung des Bundesinnenministeriums, sodass die örtlichen Ausländerbehörden hier derzeit nur über die Genehmigung informiert werden.

Und von welchem Faktor des Nachzugs pro Kopf geht die Statistik aus? Gibt es schon erste Erfahrungswerte?

Eine Statistik hierzu wird nicht geführt. Geschätzt reisten zuletzt durchschnittlich zirka zwei bis drei Personen pro Antragsteller ein, wobei auch Einzelfälle von Großfamilien mit bis zu zehn Kindern bereits aufgetreten sind. Andererseits hat derzeit auch bei Weitem nicht jeder anerkannte Flüchtling einen Familiennachzug beantragt.

Das heißt, mit wie viel Familiennachzug rechnen Ihre Fachleute im Rathaus für die Stadt? Angenommen es bliebe bei der Anzahl der Geduldeten und anerkannten Flüchtlinge in der Stadt: Mit wie viel
Nachzug müsste dann gerechnet werden?

Eine verlässliche Prognose ist derzeit nicht möglich. Bislang sind zirka 150 Personen im Rahmen des Familiennachzugs nach Hof zugereist, wobei aber viele Anträge noch nicht bearbeitet sind.

Bedeutet dies möglicherweise, dass die Stadt binnen kürzester Zeit wieder weit über 50 000 Einwohner anwächst ?

Es wäre nicht seriös, dazu derzeit eine Prognose zu machen. Ausschließen können wir es angesichts der linear steigenden Zahlen aber natürlich auch nicht.

Sind die Moscheevereine oder Glaubensgruppen bei der Integrationsarbeit eingebunden?

Ganz generell: Hof ist eine Stadt der Vereine und Ehrenamtlichen. Die Arbeit, die hier geleistet wird, ist einfach fantastisch und nicht hoch genug zu würdigen! Hier gibt es in erster Linie viele positive Beispiele für gelingende Integration. Aber natürlich hat jeder Verein begrenzte Ressourcen. Darum müssen wir auch hier immer die effektiven Machbarkeiten im Auge behalten. Wir wissen auch, dass sich viele Zuwandernde bereits an die muslimischen Glaubensgruppen gewandt haben.

Gibt es noch leere Wohnungen in Hof ?

Die gibt es schon noch. Was ich aber in diesem Bereich für besonders verwerflich halte, ist, dass manch verantwortungsloser Hauseigentümer, der seit Jahrzehnten nichts in sein Eigentum investiert hat, für sein "Loch" noch Miete vom Staat erhält und dass nach meiner Einschätzung auch organisierte Gruppen hinter dem Zuzug nach Hof stehen.

Wie hoch ist die Quote der Zuwanderer aus Krisen- und Kriegsgebieten, die auf dem hiesigen Arbeitsmarkt eine Chance haben werden? Bundesarbeitsministerin Nahles spricht von maximal zehn Prozent.

Diese Einschätzung ist wohl richtig. Hochqualifizierte sowie gut ausgebildete Fachkräfte sind im Rahmen des Flüchtlingszustroms über die Balkanroute nicht eingereist, oder nur in absoluten Ausnahmefällen. Nehmen wir das oft zitierte Beispiel syrischer Ärzte: Diese haben oftmals bereits vor dem Beginn der Flüchtlingskrise den Weg der legalen Arbeitsmigration gewählt, das heißt sie haben sich in Deutschland einen ihrer Qualifikation entsprechenden Arbeitsplatz gesucht, bei der deutschen Auslandsvertretung ein Visum beantragt und nach Einreise eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Nach den uns bekannten Zahlen befinden sich deutlich über 80 Prozent der ankommenden Flüchtlinge nach den Maßstäben unseres Arbeitsmarktes auf dem sogenannten Helferniveau, sie verfügen also nicht über ausreichende Sprach- oder Schriftkenntnisse beziehungsweise über einen Schulabschluss. Schon daran erkennt man, dass der Weg zur Integration in die deutsche Arbeitswelt oftmals leider sehr weit ist.

Die Erfahrung zeigt, dass Flüchtlinge zunächst die Sozialkassen belasten. Das bedeutet, die Stadt sieht immensen Kosten im Bereich des Sozialhaushaltes entgegen. Sind Sie gewappnet, ist Hof dem finanziell gewachsen?

Das ist in der Tat eine große Herausforderung. Obwohl wir einen Großteil der Ausgaben ersetzt bekommen, zeigt sich, dass Zuwanderung in die Sozialsysteme auf Dauer nicht funktionieren kann und darf. Dieses gefährdet unsere positive Entwicklung der letzten Jahre.

Bitte konkretisieren Sie das.

Konkret: In Hof konnten Stadt und Stadtrat zuletzt in gemeinsamer Arbeit viel zum Schuldenabbau bei gleichzeitigen hohen Investitionen und Bauprojekten beitragen - denken Sie an die vielen Schul- und Kindergartensanierungen, Straßenbauprojekte oder auch die neue Freiheitshalle. Unsere Schulden sind wieder auf dem Niveau von 1996. Auf diese Konsolidierungsleistung, die wir auch mit Hilfe des Freistaats erreicht haben, können alle Beteiligten stolz sein. Perspektivisch gesehen müssen wir uns aber auch mit der Situation auseinandersetzen, dass die Wirtschaft nicht immer so boomt wie zurzeit und dass die Steuern nicht immer so sprudeln werden.

Und da sehen Sie Probleme auf die Stadt zukommen?

Dass die Arbeitslosenquote nach dem Zuzug und während des größten Wirtschaftsbooms von fünf auf deutlich über sieben Prozent gestiegen ist, ist hier natürlich ein Alarmzeichen für unsere Haushälter. Dieser Anstieg erfolgt, obwohl in Hof im Jahr 2016 prozentual gesehen die meisten sozialversicherungspflichtigen Jobs in ganz Oberfranken geschaffen wurden.

Das klingt verrückt.

Ja, es klingt paradox, ist aber so: Wir haben im Vergleich zu vor zwei Jahren von beidem deutlich mehr: Jobs und Arbeitslose.

Fühlen Sie sich als Kommune allein gelassen? Fürchten Sie Verhältnisse in Hof wie in großstädtischen Brennpunkten?

Wir fühlen uns sicher nicht allein gelassen, wir führen derzeit aber viele Gespräche auf politischer und auf Verwaltungsebene, um auf unsere Situation hinzuweisen. Der Freistaat Bayern hat gerade deshalb eine Asyldurchführungsverordnung, DV-Asyl, erlassen, um eine annähernd gleiche Verteilung über das Land hinweg sicherzustellen. Davon sind wir zur Zeit aber weit entfernt.

Wie weit?

Während das Jobcenter Hof-Stadt im März 2017 550 Bedarfgemeinschaften mit Flüchtlingshintergrund zu verzeichnen hatte, lag das Jobcenter Coburg-Stadt bei 189. Die politische Spitze des Freistaats Bayern hat die aus dem Strukturwandel früherer Jahre resultierende Sondersituation erkannt. Der Verwaltungsvollzug vieler Ausländerbehörden quer durch Bayern allerdings hinkt leider meilenweit hinterher.

Das heißt, weiterer Zuzug würde es nicht einfacher machen?

Eine Fortsetzung der aktuellen Entwicklung oder eine erneute Welle würde uns sicherlich vor massive Probleme stellen.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was wünschten Sie sich für die Zukunft Ihrer Stadt?

Ich wünsche mir, dass wir den Aufwärtstrend der letzten Jahre, der in Hof an vielen Stellen greifbar ist, gemeinsam fortsetzen können. Und dass unsere kleine und liebenswerte Stadt ihren Charakter behält und weiterhin fast 120 Nationen friedlich zusammenleben können. Das würde bedeuten, dass die Integration der Zuwanderer gelingt.

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