Doch das perfekte Verbrechen gibt es nicht. Das zeigt auch dieser Fall. Das Fehlen bestimmter Medikamente, die nicht in großen Mengen in einer Apotheke gelagert werden, fiel bald der Filialleiterin auf, die als Nächstes in den Zeugenstand gerufen wird. Ihre Aussagen decken sich mit dem Geständnis des Täters.
Seine Einsicht und Entschuldigung werden ihm am Ende zugute gehalten. Negativ anzurechnen ist dem Mann hingegen, dass er nur wenige Wochen vor der Verhandlung bereits wegen Urkundenfälschung zu Geldstrafen verurteilt wurde: Richter Hubert Pürner spricht im Fall des Medikamenten-Diebstahls ein tendenziell eher mildes Urteil. Er verurteilt den Mann zwar in drei Fällen wegen unerlaubter Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an Verbraucher, jedoch entscheidet er sich gegen eine Haftstrafe: Die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wird zur Bewährung ausgesetzt. Der Bewährungsbeschluss sieht eine Bewährungszeit von drei Jahren vor. Zudem bekommt der Mann einen Bewährungshelfer zur Seite gestellt, dessen Vorladungen er Folge zu leisten hat. Außerdem weist der Richter den Verurteilten an, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten - pro Monat mindestens zehn Stunden.
Ein Urteil, mit dem alle Beteiligten leben können - sogar wir, die wir in einer kurzen Pause zwischen den drei Prozessen vom Richter gefragt werden, ob wir uns für ein ähnliches Urteil entschieden hätten. Jener Fall begleitet uns auch in die große Pause hinein, in der wir bei Kaffee und Sandwiches aus dem Automaten die Tatbestände lebhaft weiterdiskutieren. Besonders das Schicksal der Frau des Angeklagten, die als schwerbehindert gilt, beschäftigt uns sehr, weswegen wir bei einer Fragerunde auch gleich wissen wollen, ob Richter sich manchmal von Mitleid beeinflussen lassen: "Es ist wichtig, sich nicht von seinen Gefühlen tragen zu lassen", antwortet Richter Pürner. Eine Aussage, die sich in seinem gerechten Urteil widerspiegelt.
Der Richter erklärt, dass er neben dem vorgegebenen Strafrahmen auch die Grundsätze der Strafzumessung (siehe Infobox) zu beachten hat. Der Strafrahmen ist die im Strafgesetzbuch für eine Straftat bezeichnete mögliche Dauer einer Freiheitsstrafe beziehungsweise die Möglichkeit, "nur" eine Geldstrafe zu verhängen. Im Gesetz sind bei dem jeweiligen Straftatbestand das Mindest- sowie das Höchstmaß einer Strafe angegeben. Der Richter darf sich nur innerhalb dieser Begrenzung bewegen.
Als wir das Amtsgericht verlassen, sind alle nahezu überwältigt von den neuen Eindrücken. "Für mich war alles neu. Ich wusste gar nicht, dass eine Gerichtsverhandlung einen so geregelten Ablauf hat", sagt Hanna Petrahn. Ein häufig gehörter Satz ist auch: "Am liebsten würde ich noch länger bleiben und mir mehr Prozesse anschauen."