In drei Ländern Verfassungsgericht bremst Polizei beim Kennzeichen-Abgleich

Es passiert zum Beispiel auf der A3 bei Limburg: Fahnder scannen die Nummernschilder sämtlicher Autos, unbemerkt von den Insassen. Karlsruhe hat das schon einmal beanstandet - und legt jetzt nach.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Eine transportable automatisierte Kennzeichenerkennungs-Anlage steht vor einem Polizeiauto in Nürnberg. Foto: Daniel Karmann Foto: dpa

Karlsruhe - Das Bundesverfassungsgericht schützt Autofahrer vor einer zu weitgehenden Erfassung ihrer Nummernschilder durch die Polizei.

Nach der Werbung weiterlesen

Nach Klagen mehrerer Betroffener aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg erklärten die Karlsruher Richter die Vorschriften zum automatischen Abgleich von Kfz-Kennzeichen mit Fahndungsdaten in den drei Ländern zum Teil für verfassungswidrig. Sie verstießen gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, heißt es in den Beschlüssen (Az. 1 BvR 2795/09 u.a.).

Der Kennzeichen-Abgleich zur Gefahrenabwehr ist in den Polizeigesetzen der Länder geregelt. Gegenstand der Klagen waren nur die Vorschriften in den drei Bundesländern, sie dürfen in dieser Form höchstens bis Ende des Jahres in Kraft bleiben. Die Technik nutzen auch andere Länder, etwa Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Dabei werden mit speziellen Geräten an der Fahrbahn die Nummernschilder aller vorbeifahrenden Autos gescannt und kurz mit Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung erfasst. Die Insassen bekommen davon nichts mit. Ergibt der automatisierte Abgleich mit dem Fahndungsbestand keinen Treffer, werden die Daten sofort wieder gelöscht. Zeigt das System eine Übereinstimmung an, überprüft ein Polizist den Fall und veranlasst gegebenenfalls die Verfolgung.

Die Polizei setzt auf die Technik, um gestohlene Autos zu finden oder polizeibekannte Unruhestifter auf dem Weg zu einer Großveranstaltung oder einer Demonstration abzupassen. Auch im Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität oder beim Aufspüren von Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung kommt das Verfahren zum Einsatz.

Bayern nutzt die Geräte seit 2006 und betreibt nach eigenen Angaben inzwischen 22 stationäre und sechs mobile Anlagen. Daran fahren demzufolge im Monat durchschnittlich rund 8,5 Millionen Fahrzeuge vorbei. Dies führe im Jahr zu rund 10.000 Treffern.

Die hessische Polizei verwendet das System laut Innenministerium nur noch vereinzelt an der Autobahn 3 nahe Limburg. 2017 seien mehr als eine halbe Million Kennzeichen erfasst worden, es habe 5129 Treffer und 344 Kontrollen gegeben. Die Polizei in Baden-Württemberg ließ vom Mai bis November 2017 in einem Pilotversuch immer wieder Kennzeichen erfassen, hauptsächlich um Wohnungseinbrecher aufzuspüren.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2008 schon einmal wichtige Vorgaben zum Kennzeichen-Abgleich gemacht. Damals erklärten die Richter Vorschriften in Hessen und Schleswig-Holstein für nichtig, weil sie unverhältnismäßig und unklar waren. Es sei nicht auszuschließen, dass über längere Zeit Bewegungsprofile entstünden.

Die neuen Entscheidungen gehen darüber noch hinaus. 2008 hatte der Erste Senat angenommen, dass nur dann Grundrechte berührt sind, wenn die Daten nicht sofort gelöscht werden. Jetzt gehen die Richter davon aus, dass das immer der Fall ist - schon der Scan an sich sei freiheitsbeeinträchtigend. "Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden", heißt es in einem der Beschlüsse.

Im Einzelnen gibt es unterschiedliche Beanstandungen. Bayern etwa hat gar keine Gesetzeskompetenz, um den Abgleich unmittelbar zum Grenzschutz zu erlauben, das ist Sache des Bundes. Außerdem müssen die Kontrollen dort verpflichtend dokumentiert werden. Zur Schleierfahndung dürfen die Scans in allen drei Ländern nur mit Grenzbezug und nicht auf allen Durchgangsstraßen eingesetzt werden. Baden-Württemberg und Hessen müssen künftig die Fahndungsdaten enger eingrenzen, mit denen beim konkreten Einsatz abgeglichen wird.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verteidigte den Kennzeichen-Abgleich als wichtiges Instrument der Polizei im Kampf für mehr Sicherheit. Man werde das Gesetz nun den Vorgaben anpassen. Auch das hessische Innenministerium erklärte, die Technik werde nicht grundsätzlich infrage gestellt. Baden-Württemberg will den Beschluss gründlich und sorgfältig auswerten und "die erforderlichen rechtlichen Änderungen zu gegebener Zeit vornehmen".

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte die Klarstellungen. "Die Bürger statten die Polizei mit einem hohen Vertrauen in deren rechtsstaatliche einwandfreie Arbeit aus. Also benötigen meine Kolleginnen und Kollegen polizeiliche Instrumente, die vor dem Gesetz standhalten", sagte der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) äußerte sich ähnlich.

Der Piraten-Politiker Patrick Breyer, der nach eigenen Angaben 2018 Verfassungsbeschwerde gegen den Kennzeichen-Abgleich durch die Bundespolizei eingereicht hatte, kritisierte die "permanente massenhafte automatisierte Kontrolle der gesamten Bevölkerung".

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte, man sei überzeugt "dass der Einsatz der automatisierten Kennzeichenerfassung ein wichtiges Hilfsinstrument für die Arbeit unter anderem der Bundespolizei sein kann". Die Technik werde dort aber noch nicht erprobt, weil das Vergabeverfahren zum Teil noch laufe.

Grüne und FDP forderten wegen der Entscheidung auch Änderungen an den Plänen zur Kontrolle von Diesel-Fahrverboten, bei der ebenfalls Kennzeichen erfasst werden sollen. Der verfassungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Niema Movassat, forderte: "Das permanente Überwachen in allen Lebensbereichen muss aufhören."