In Selb Der Weg zum veredelten Stoff

Die wohl größte Waschmaschine in Selb steht bei der Textilveredlung Drechsel. Geschäftsführer Bernd Drechsel erläuterte bei einem Rundgang den Stadträten Roland Schneider, Klaus von Stetten und Oberbürgermeister Ulrich Pötzsch (von links) ihre Wirkungsweise. Foto: /Florian Miedl

Das Selber Unternehmen Drechsel gibt allen Arten von Textilien ihre ganz besonderen Eigenschaften. Wie genau das funktioniert, erläutert Geschäftsführer Bernd Drechsel dem Wirtschaftsausschuss.

Das Umfeld ist schwierig, die Rahmenbedingungen problematisch. Und doch: Trotz der exorbitant gestiegenen Energiepreise und dem immer dramatischer werdenden Nachwuchs- und Fachkräftemangel behauptet sich die Textilveredlung Drechsel mit Erfolg auf dem Markt. Davon haben sich die Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaftsförderung und Tourismus vor ihrer jüngsten Sitzung überzeugt. Geschäftsführer Bernd Drechsel führte sie bei einer Betriebsführung in die Feinheiten der Branche ein.

Seinen Vortrag begann Drechsel mit einer Definition des Begriffs Textilveredlung: Darunter fallen alle physikalischen und chemischen Verfahren, mit denen einem textilen Rohstoff die für seinen Gebrauch notwendigen Eigenschaften wie Form, Farbe und Funktion verliehen werden. „Wir waschen, trocknen, färben Gewebtes, Gewirktes oder Vlies, machen es flammhemmend, schmutz- oder wasserabweisend und beschichten es.“ Damit stehe die Textilveredlung Drechsel vor der Konfektion an zweitletzter Stelle des Produktionsprozesses. „Und wir sind reiner Dienstleister. Keine der Stoffe, die sie hier sehen, gehören uns.“ Vielmehr be- und verarbeite man sie ganz nach den Wünschen der Kunden.

Feiler und Verotex

Zu den ältesten Kunden gehört übrigens die Frottier- und Chenilleweberei Feiler in Hohenberg. „Seit den 1950ern, also seit über 70 Jahren, fährt täglich ein Lastwagen von Selb nach Hohenberg und zurück und transportiert die Ware“, sagte Drechsel. Größter Kunde sei die Firma Verotex in Stammbach.

Während sich die Zahl der Beschäftigten in Deutschland im Bereich Textil/Bekleidung seit 1950 bis heute von rund 580 000 auf unter 78 000 verringert habe, beschäftige das Selber Unternehmen rund 145 Mitarbeiter. Zum Artikelprogramm gehören laut Drechsel unter anderem Stoffe für Sonnenschutz und Verdunklungen (etwa im ICE), Haus- und Heimtextilien, Gewebe und Vliesstoffe für technische Anwendungen, 3D-Textilien für den Automobil- und den Medizinbereich, für infrarot-absorbierende Tarntextilien oder Schutzwesten, Brandschutzbandagen für Kabelstränge, Bodenbeläge für Flugzeuge oder auch Röntgen-Schutzbekleidung sowie Farbauffrischungstücher.

Problem Energiepreise

Das größte Problem sind laut Drechsel momentan die hohen Energiepreise. Pro Jahr verbrauche man 16,5 Gigawatt Erdgas. 2021 habe der Arbeitspreis bei 1,78 Cent pro Kilowattstunde gelegen. Bis 2024 habe das Unternehmen einen Festpreis – vorbehaltlich einer Gasmangellage. Inzwischen liege der Preis bei 6,8 Cent, was Mehrkosten von fast 870 000 Euro ausmachen würde. Ähnlich sei die Situation bei Strom. Dort würden sich Mehrkosten in Höhe von knapp 600 000 Euro ergeben. Die Aussichten seien also alles andere als rosig, zumal diese gestiegenen Kosten auch für die Kunden des Selber Unternehmens schwierig seien.

Dennoch oder gerade deswegen setze man auf Nachhaltigkeit. So beziehe die Textilveredlung 100 Prozent ihres Stromes aus erneuerbarer Energie und verfüge über eine eigene Photovoltaikanlage mit 499 Kilowattpeak, die allerdings nur zehn bis 15 Prozent des jährlichen Bedarfs decke. Dazu gebe es im Betrieb selbst mehrere innovative Lösungen, etwa einen Abwasserverdampfer, der extra für Drechsel entwickelt worden sei. Damit könne man dann im Entsorgungsbereich Kosten sparen. Dazu komme eine zweistufige Wärmerückgewinnung samt Abluftreinigung an allen Spannrahmen sowie eine Kühlwasserspeicherung, die eine Wiederverwendung des Prozesswassers erlaube. „Wir optimieren seit Jahren an allen Ecken und Enden“, so der Geschäftsführer.

Durch alle Räume

In drei Gruppen erkundeten die Ausschussmitglieder anschließend unter der Führung von Bernd Drechsel, dem Seniorchef Dr. Ernst Drechsel und Soner Cetin, dem Leiter des Qualitätsmanagements, das Unternehmen und folgten dem Weg der Textilien von der Anlieferung, über die Wäscherei und Färberei bis zur Warenendkontrolle. Einen Blick konnten die Gäste auch in die Appretur-, Beschichtungs- und Prüflabore werfen und sich zudem über die verwendeten Grundstoffe informieren.

Zum Schluss sprach Bernd Drechsel auch das Problem des Facharbeitermangels an. Problematisch sei das gegenseitige Abwerben von Mitarbeitern in der Region. Vor diesem Hintergrund sei er nicht sonderlich traurig, dass BMW sich nicht in Arzberg ansiedele.

Oberbürgermeister Ulrich Pötzsch dankte der Familie Drechsel für die Gastfreundschaft und die Einblicke in das Unternehmen. Man könne mit Fug und Recht von einer Firma sprechen, die ihresgleichen suche. Sowohl die Größe als auch die Stärken der Textilveredlung am Standort Selb seien beeindruckend. Pötzsch sagte, das Unternehmen werde sicher auch in Zukunft alle Hürden nehmen.

Textilveredlung Drechsel

Gründung
1950 gründeten die aus Asch stammenden Kaufmann Friedrich Drechsel und sein Schwager, der Färbermeister Emil Geipel in der Lohmühle das Unternehmen.

Geschäftsführer
 Geleitet wird das Familienunternehmen heute von den Geschäftsführern Dr. Ernst Drechsel, seinem Sohn Bernd Drechsel und seiner Nichte Annette Herold. 

Belegschaft
rund 145 Mitarbeiter, davon sechs Auszubildende. 

Umsatz
im Jahr 2022 bei 14 Millionen Euro, davon 77 Prozent in Deutschland (35 Prozent in Oberfranken) 23 Prozent in der EU.

Produktion pro Tag
elf Tonnen, das entspricht zwischen 65 000 und 150 000 Quadratmetern.

Produktion pro Jahr
rund sieben Millionen laufende Meter. Das entspricht etwa 16 Millionen Quadratmetern oder 3000 Tonnen.

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