Integration Muss Heimat schön sein?

Eltern ist die Instanz, die Kindern Werte vermittelt – darin waren sich die Diskutanten beim Sozialpolitischen Treff der Diakonie einig. Foto: / Frank Leonhardt/dpa; Portraitfotos: Julia Ertel

Was ist Herkunft? Wie entstehen Werte? Diesen und weiteren Fragen rund um das Thema Integration widmete sich ein spannendes Streitgespräch im Hofer Central-Kino.

 
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Woran erkennt man einen Flüchtling? An seiner Kleidung? Am Benehmen? An der Hautfarbe? Dass Klischees nicht immer den Tatsachen entsprechen, wurde beim Sozialpolitischen Treff der Diakonie Hochfranken im Hofer Central-Kino am Mittwochabend deutlich. Hier trafen sich zwei diskutierfreudige Redner, der 77-jährige pensionierte Fachhochschullehrer Ruprecht Werner und der 46-jährige Hofer Kurde Kenan Canbay zu einem Streitgespräch rund um die Themen Identität, Herkunft, Wurzeln, Kultur, Religion und Werte, dem rund 80 Besucher folgten.

Als „Flüchtling“ fungierte Ruprecht Werner, der aus Schlesien stammt. Kenan Canbay, der „Einheimische“, ist in Hof geboren, seine Eltern kamen 1972 als Gastarbeiter aus der Türkei. In den meisten Punkten gingen die Meinungen auseinander, weshalb sich das Gespräch unter dem Titel „Waschstraße Integration – muss Hassan zu Hannes werden?“, organisiert von den Integrationslotsinnen der Diakonie, lebendig gestaltete und sich aus persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen speiste.

Olaf Hofmeister, Fachgruppenleiter Migration bei der Diakonie, moderierte den Austausch, an dessen Ende eines klar wurde: Dass sich die beiden Diskutanten trotz aller Meinungsunterschiede darin einig sind, dass es Ziel sein muss, dass Menschen verschiedener Ethnien, Kulturen und Religionen friedlich zusammenleben und zu Teilhabern einer Demokratiekultur werden müssen.

Uneinigkeit herrschte aber etwa in der Frage nach Herkunft und Wurzeln: „Läge ich als Banane im Supermarkt, würde an mir der Aufkleber ‚Herkunftsland Deutschland’ kleben“, sagte Kenan Canbay. Auch Wurzeln habe er nicht, schließlich sei er keine Pflanze, witzelte Canbay, für den Herkunft und Wurzeln lediglich fiktive Gedankenkonstrukte sind, die Menschen in Schubladen packten. „Das ist ein Schritt in Richtung Diskriminierung.“

Der studierte Psychologe Ruprecht Werner war ganz anderer Meinung. Aus seiner Sicht sind Herkunft und Wurzeln das, was man vom Elternhaus „mitbringt“, das, was einen Menschen prägt: „Wie bist du so geworden, wie du bist?“ Hof sei seine Herkunft, entgegnete Canbay. „Ich bringe meine Persönlichkeit mit – und die ist einzigartig.“

Den Begriff „Heimat“ sahen beide Diskutanten als problematisch an. Canbay lehnte ihn ab: „Hof als Heimat wird mir oft von anderen aberkannt. Aber ich lebe und ich liebe hier,“ erläuterte der Ehemann und Vater zweier Töchter. Der Begriff werde missbraucht, „um Menschen wie mich auszugrenzen“. Heimat sei für ihn kein Ort, sondern die Summe schöner Erinnerungen.

Anders sei das bei seinen Eltern, deren Heimat ein Dorf sei, 3500 Kilometer von Deutschland entfernt, eine „Geröllwüste“ ohne Strom und sanitäre Anlagen, mit der er sich nicht identifizieren könne. Als Kind sei er mit den Eltern regelmäßig in die „Heimat“ gefahren. Schon die Erledigung der Grundbedürfnisse in der freien Natur sei für ihn traumatisch gewesen, da er an andere Hygienestandards gewöhnt war. „Alles andere war auch nicht schön.“

Heimat muss nicht schön sein, protestierte Werner, und die Vorstellung davon müsse sich auch nicht mit der Vorstellung der Eltern decken. Heimat habe aber mit Sprache zu tun: „Das ist der Ort, an dem man sich wohlfühlt, an dem man sich verständigen kann und verstanden wird.“ Werner musste allerdings zugeben, dass dieser Begriff auch negative Assoziationen weckt, etwa mit dem Dritten Reich. Zudem werde die „Heimat“ Menschen oft von außen zugewiesen, auch wenn sie mit dem Land nichts anfangen können, weil sie in Deutschland geboren sind.

Genau wie die Religion – Kenan Canbay werde oft unterstellt, ein gläubiger Muslim zu sein. Dabei sei er überhaupt nicht religiös, auch wenn er den Glauben anderer Menschen respektiere. Er selbst empfinde Religion als Korsett, weil man sein Tun mit den vorgegebenen Regeln abgleichen müsse. Wo dann aber die Werte entstehen, fragte Moderator Olaf Hofmeister. „Wie bei allen Menschen – in der unmittelbaren Umgebung, in der man aufwächst“, antwortete Werner. Aus Werten leiteten sich Gesetze und Regeln ab – auch „ungeschriebene Gesetze“, die in einer Region oder einem Land gelten. Durch Sozialisation könne man sich den Gepflogenheiten nähern, meinte Werner. Aus Erfahrung wusste Canbay aber, dass manchen Menschen – auch nach vielen Jahren – die Sitten und Gebräuche des Landes, in dem sie leben, fremd bleiben.

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