Interview Sprung ins kalte Wasser

Für Ich+Ich-Sänger Adel Tawil war 2007 das Jahr der Superlative. Der Berliner mit der souligen Stimme war vergangenes Jahr vier Mal in den Top Ten vertreten, mit „Prison Break“ gelang ihm sogar ein Nummer-1-Hit. Derzeit ist der 29-Jährige mit Ich+Ich auf Tournee. Im Sonntagsgespräch verrät Adel Tawil unter anderem, warum er auf der Bühne eine Doppelrolle spielen muss.

 
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So!: Adel, kaum ein Sänger ist in Deutschland derzeit so erfolgreich wie du. Verändert Erfolg den Menschen?

Adel Tawil: Ich werde demnächst 30. Da merke ich schon, dass ich mich verändert habe und öfter an die Zukunft denke. Ich glaube aber, der Erfolg hat meinen Charakter nicht verdorben. Natürlich genieße ich die Stimmung bei den Konzerten. Ich finde es schade, dass Annette nicht mehr auf die Bühne will. Aber das kann mich nicht davon abhalten, mit unserem gemeinsamen Projekt auf Tour zu gehen. Ich übernehme jetzt die Verantwortung, das komplette Programm allein zu gestalten und verspreche, mein Bestes zu geben. Der erste Auftritt ohne Annette war 2006 beim Aids-Benefiz-Konzert von Rosenstolz. Damals bin ich im wahrsten Sinne des Wortes ins kalte Wasser gesprungen.

So!: Funktioniert ein Konzert von Ich+Ich auch ohne Annette Humpe?

Tawil: Ja, indem ich ihren Part voll übernehme. Ich habe zwar auch Backgroundsänger dabei, aber das meiste singe ich selbst. Einige unserer Songs sind wirklich sehr schwer zu singen, zum Beispiel „Wenn ich tot bin“. Daran werde ich mich jetzt erstmals heranwagen. Man darf also gespannt sein.

So!: Ich+Ichs „Vom selben Stern“ war der Überraschungshit des vergangenen Jahres. Ursprünglich gab es von dem Song 13 Versionen mit unterschiedlichen Tempovarianten. Wie habt Ihr euch am Ende für die richtige Fassung entschieden?

Tawil: Eigentlich wollten wir die Nummer nach diversen Anläufen beiseite legen, aber der Text hatte es unserer Meinung nach verdient, veröffentlicht zu werden. Deshalb packten wir ihn ganz zum Schluss noch mal an – und trafen voll ins Schwarze. Beim Musikmachen hängt ganz viel vom Zufall ab. Man muss immer wachsam sein und aufpassen, dass das Gefühl nicht verloren geht.

So!: Ihr habt unter anderem einen konsumkritischen Protestsong im Repertoire: „Hände weg vom Junk – Du hast genug Klamotten im Schrank“. Hältst du dich selbst daran?

Tawil: Ich bin selbst jemand, der sich gerne Sachen kauft, ohne drüber nachzudenken, ob das überhaupt Sinn macht: Das reicht vom Handy und Laptop bis zum Fotoapparat und MP3-Player. Der Song hat mich dazu gebracht, mein Verhalten einmal zu überprüfen. Man meint immer, es ginge einem besser, wenn man bestimmte Dinge besitzt. Das stimmt aber gar nicht. Man muss im Leben auch mal innehalten.

So!: Du bist mit Hip-Hop aufgewachsen. Woher kommt der starke Soul-Einfluss in deiner Stimme?

Tawil: Meine Vorbilder sind Sänger wie Al Green und Marvin Gaye, aber auch Rockbands wie Nirvana und die Red Hot Chili Peppers. Soul ist, wenn jemand mit Leib und Seele Musik macht. Das habe ich mir von denen ein bisschen abgeguckt. Bei einem Live-Konzert von Al Green ist sicher nicht alles perfekt, aber das Gefühl stimmt. Auch Bob Dylan kann nicht perfekt singen, aber er ist trotzdem ein grandioser Künstler.

So!: Mit der Band The Boyz gelangen dir bereits Ende der 90er Jahre erste Charterfolge. Warum wurde es danach wieder ruhiger um dich?

Tawil: Ich war damals 18 und schrieb die meisten unserer Songs selbst. Dabei konnte ich viel lernen, auch über die Schattenseiten des Geschäfts. Mir war es wichtig, mein Studium abzuschließen, weshalb ich die Band irgendwann aufgab. Ich wollte Produzent werden. In dieser Zeit teilte ich mir mit meiner Freundin eine 30-Quadratmeter-Wohnung und wir lebten hauptsächlich von Nudelsuppe. Trotzdem musste ich die ganze Zeit stark sein; ich hatte eine eigene Firma und produzierte erfolgreiche Künstler wie Maya Saban. Seit acht Jahren betreibe ich nun schon mein Tonstudio in Berlin-Reinickendorf und schaue mich nach jungen Talenten um.

So!: Welche besonderen Fähigkeiten müssen Newcomer heutzutage mitbringen?

Tawil: Ein Newcomer sollte vor allem bescheiden sein. Er muss etwas lernen wollen. Wer denkt, er hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen, weil er vielleicht mal an einer Castingshow teilgenommen hat, ist in dem Geschäft fehl am Platz. Ich bin jetzt seit 15 Jahren Profi und kann von Annette Humpe immer noch jeden Tag etwas lernen.

So!: Was ist das Wichtigste, das du von ihr gelernt hast?

Tawil: Ich bewundere ihre Geradlinigkeit. Ich selbst bin eher ein gelassener Typ, der gern auch mal etwas schleifen lässt. Von Annette habe ich gelernt, den Hintern hochzukriegen und Dinge anzupacken. Außerdem hat sie mir gezeigt, dass es bei der Musik nur ums Gefühl geht.

So!: Der amerikanische Musiker und Star-Produzent Pharrell Williams sagt, den perfekten Beat gibt es nicht. Wie siehst du das?

Tawil: Ich will den perfekten Beat gar nicht hören. Die wirklich guten Songs sind nie perfekt und haben immer auch etwas Unreines. Ich bin froh, dass in der deutschen Musikszene endlich wieder Substanz vorhanden ist. Die 90er Jahre waren ziemlich oberflächlich, heute sind Bands wie Mia, Silbermond, Panda und Juli auf dem Vormarsch.

So!: Du arbeitest auch an deinem ersten Soloalbum. Wie wird es klingen?

Tawil: Im Moment bin ich selbst noch gespannt, was dabei rauskommen wird. Auf jeden Fall wird die Musik ein bisschen schwärzer klingen. Ich singe auf Deutsch, weil ich mich dabei am besten ausdrücken und mit der Stimme spielen kann. Gleichzeitig bereiten Annette und ich neue Songs für Ich+Ich vor. Es gibt immer etwas zu tun. So habe ich gerade den Schweizer Sänger Michael von der Heide produziert. In seiner Heimat ist er bereits ein Star.

So!: Worüber würdest du gern mal einen Song schreiben?

Tawil: Ich warte auf den ersten Song über den Klimawandel. Im Grunde kann man aber jedes Thema stets neu besingen. Es kommt immer auf die Sichtweise an.

Interview: Olaf Neumann

ICH + ICH --- DIE TOUR 2008

  • 12.01.2008 Dresden, Alter Schlachthof
  • 13.01.2008 Magdeburg, AMO
  • 15.01.2008 Rostock, Stadthalle
  • 16.01.2008 Zwickau, Ballhaus
  • 17.01.2008 Köln, Palladium
  • 19.01.2008 Luxemburg, Rockhal
  • 20.01.2008 Bosen, Bosarium (Karten aus Luxemburg und Saarbrücken behalten Gültigkeit)
  • 21.01.2008 Mainz, Phoenix-Halle (Neue Location)
  • 22.01.2008 München, Muffathalle
  • 24.01.2008 Mannheim, Capitol
  • 25.01.2008 Salzburg, Republic
  • 29.01.2008 Hamm, Maximilianpark (ausverkauft)
  • 30.01.2008 Bielefeld, Ringlokschuppen
  • 31.01.2008 Bremen, Pier 2
  • 01.02.2008 Hamburg, Grünspan (ausverkauft)
  • 03.02.2008 Berlin, Columbiahalle (verlegt v. Postbahnhof, ausverkauft)
  • 14.06.2008 Torgelow, Stadthalle
  • 27.06.2008 Berlin, Zitadelle Spandau (Zusatztermin)
  • 10.07.2008 Hamburg, Stadtpark (Zusatztermin)
  • 29.08.2008 Dresden, Junge Garde (Zusatztermin)

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