Interview zum Rassismus-Problem im Fußball „Die Vorbilder müssen sich positionieren“

England zeigt es: Der Fußball hat mit einem Rassismus-Problem zu kämpfen. Auch im Amateurbereich in Bayern? Darüber wird im Mikrokosmos Amateurfußball diskutiert.

 
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Tim Frohwein Foto: Archiv

Hof/München - Der Fußball ist vielfältig – das zeigen die zahlreichen Spiele an jedem Wochenende. Nur gibt es auch eine Schattenseite, zum Beispiel wenn es zu rassistischen Beleidigungen kommt. Tim Frohwein, der Gründer des Mikrokosmos Amateurfußball, hat sich damit für den Amateurfußball befasst. Am Donnerstag, 22. Juli (15 bis 17 Uhr), findet eine virtuelle Diskussion über „Vielfalt, Respekt und Toleranz – Wird der Amateurfußball seinem Ideal gerecht?“ statt. Wir haben im Vorfeld mit dem Münchner Soziologen über die aktuellen Debatten und seine Tipps an Vereine und Verbände gesprochen.

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Herr Frohwein, hinter uns liegt eine heiß debattierte EM – mit einem Fanal in England, wo die Fehlschützen rassistisch beleidigt wurden. Hat Sie dies überrascht?

Es war leider erwartbar. Am Abend des Finals war mein erster Gedanke: Wie konnte Gareth Southgate nur nochmals ein Elfmeterschießen versauen? Und mein zweiter Gedanke war, als mir klar wurde, dass zwei hellhäutige englische Spieler getroffen hatten, drei dunkelhäutige aber verschossen: Das könnte traurige Konsequenzen haben.

Allerdings sollte doch allen klar sein, dass die Fähigkeit, einen Elfmeter zu schießen, absolut nichts mit der Hautfarbe zu tun hat. Wie kommt es trotzdem dazu?

Für die meisten Leute ist das klar. Aber auch in England hat sich die Grenze des Sagbaren verschoben, Rassisten sind deutlicher zu hören als vor einiger Zeit. Zum Rassismus gehört eine selektive Wahrnehmung – und eine Abwertung von Menschen aufgrund bestimmter Eigenschaften. Wichtig ist: Wir sprechen auch in England nicht von der Mehrheit der Fußballfans. Es sind ein paar wenige – aber mehr als vor ein paar Jahren. Das ist jedenfalls meine Einschätzung. Und diejenigen, die ihre Spieler beschimpft haben, sind vielleicht auch Amateurfußballer in England, weshalb das Thema eben auch relevant für unsere Veranstaltung ist.

Gibt es denn wissenschaftliche Studien zum Rassismus im Amateurfußball?

Erst kürzlich wurde eine europaweite Studie dazu veröffentlicht. Forscher der Universitäten Zürich und Trondheim hatten für die Untersuchung rund 23 000 Amateurfußballvereine in 22 Staaten per E-Mail angeschrieben und sich dabei jeweils als ein Fußballer ausgegeben, der Interesse an einem Probetraining hat. Mal hatte der Fußballer einen ausländisch klingenden Namen, mal hatte er einen einheimisch klingenden Namen. Das Ergebnis: In allen untersuchten Ländern wurde auf die Anfrage seltener positiv geantwortet, wenn sie vermeintlich von einem Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund gestellt worden war. In Deutschland haben Absender mit einheimischem Namen 13 Prozent öfter eine positive Rückmeldung erhalten als die andere Gruppe.

Aber konkrete Zahlen zu den Fällen gibt es nicht?

Wie oft es zu rassistischen Anfeindungen auf deutschen Amateurfußballplätzen kommt, dazu gibt es bislang keine genauen Zahlen. Nach Angaben des Westdeutschen Fußballverbands (WDFV) sind beispielsweise in Nordrhein-Westfalen seit 2017 insgesamt rund 2000 Diskriminierungsvorfälle offiziell registriert worden. Das Problem dabei: Eine Unterscheidung nach Art der Diskriminierung erfolgt nicht und nicht alle Fälle werden von den Schiedsrichtern auch gemeldet.

Gerade für die Schiedsrichter ist es ja besonders schwer zu entscheiden: Was noch tolerierbarer Trashtalk auf dem Platz ist und was schon Rassismus. Gibt es da überhaupt eine klare Grenzziehung?

Rassismus beginnt dort, wo man für eine bestimmte Eigenschaft diskriminiert wird. Wenn ich also einen Spieler aufgrund seiner Hautfarbe, Herkunft oder religiösen Identität beleidige, ist es rassistisch.

Was kann der Amateurfußball gegen Rassismus tun?

Die Vorbilder sind wichtig! Gestandene Spieler, Trainer oder Vorstände müssen sich klar positionieren. Normabweichendes Verhalten muss durch sie sanktioniert werden – das gilt im Verein wie in allen anderen Lebensbereichen. Wenn sich jemand am Telefon im öffentlichen Nahverkehr rassistisch äußert, dann müssen die anderen Fahrgäste diese Normverletzung in irgendeiner Form bestrafen – und sei es nur durch entsprechende Gesten. Das beste Beispiel ist doch das Länderspiel vor zwei Jahren, als während der Schweigeminute für die Opfer des Anschlags von Halle einer die Nationalhymne gegrölt hat – und ein anderer „Halt die Fresse!“ gerufen hat. Diese Sanktionen sind wichtig, weil sich sonst diese Normüberschreitung immer weiter ausbreitet.

Der Amateurfußball wirbt oft damit, dass er integriert und verschiedene Menschen zusammenbringt. Nun sehen wir die Schattenseite des Rassismus – stimmt also diese Integrationsleistung des Fußballs gar nicht?

Der Amateurfußball ist die Sportart in Deutschland, die es am besten schafft, Menschen mit ganz unterschiedlichen sozialen, kulturellen und ethnischen Hintergründen zusammenzubringen. Allerdings bedeuten diese Berührungen nicht automatisch, dass Freundschaften aufgebaut und Ressentiments abgebaut werden. Im Mikrokosmos Amateurfußball sind die besten Voraussetzungen dafür zu finden, dass Integration erfolgreich geschehen kann. Verbände und Vereine müssen aber dafür sorgen, dass diese Voraussetzungen positiv genutzt werden.

Das Gespräch führte Marcus Schädlich

Gut zu wissen
Der Mikrokosmos Amateurfußball befasst sich mit der Fußballkultur in Bayern – in all ihren Ausprägungen. So war die Initiative auch bereits in Hof mit einer Veranstaltung zu Gast, als es darum ging, wie der Fußball Grenzen überwinden kann. Am Donnerstag, 22. Juli zwischen 15 und 17 Uhr, findet pandemiebedingt die nächste Veranstaltung nur digital statt. Thema ist Vielfalt, Respekt und Toleranz im Amateurfußball. Die Teilnahme ist kostenlos und eine Anmeldung ist unter der Webadresse www.mikrokosmos- amateurfussball.de möglich.