Was sind die Kritikpunkte?
Damit das so funktioniert, bedienen sich Entwickler im Wesentlichen zweier Kniffe, von denen zumindest einer unter der Spielerschaft nicht unumstritten ist: Es gibt keine freie Speicherfunktion. Nur über begrenzte Items, dem Schlafen in Betten oder an einigen Storypunkten wird der Fortschritt gesichert. Das führt einerseits dazu, dass spontaner Schabernack wie Äpfel klauen Konsequenzen hat, mit denen Heinrich umgehen muss, ohne einfach neu laden zu können, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten. Andererseits sind dadurch aber auch Frustmomente programmiert, sollte Heinrich in einen Hinterhalt von Räubern geraten und die letzte halbe Stunde seit dem letzten Checkpoint erneut gespielt werden müssen.
Denn der zweite Kniff ist: Heinrich fühlt sich auch in Kämpfen sehr menschlich und fragil an und so bleibt es auch später im Spiel. Selbst mit dem schärfsten Schwert, der besten Rüstung und vielen Spielstunden Erfahrung im Kampfsystem kann er vielleicht noch den zwei, drei Wegelagerern irgendwie beikommen. Sollte er aber versuchen, nach dem Apfelklau die zur Hilfe gerufenen, ordentlich bewaffneten Wachen einfach zu verkloppen: Das ist zumindest für Normalsterbliche am Pad schlicht unmöglich. Auch hier verfolgt das Spiel einen gnadenlosen Realismuseinsatz: Ein Ausnahmeschwertkämpfer gegen eine Handvoll Strauchdiebe? Kann klappen. Gegen zehn Ritter gleichzeitig? Niemals.
Der technische Zustand zum Release?
Vielleicht ist es auch ein geschickter Trick der Entwickler, das Spielende aufgrund der Tragweite des eigenen Handelns das System nicht so leicht auf etwaige Schwächen hin austesten können. Ob die Wachen uns nach dem Diebstahl einfach ignoriert hätten, wenn wir dem Ort einige In-Game-Tage ferngeblieben wären? Keine Ahnung, hier gibt es für die Community auf jeden Fall genug herauszufinden, das Spiel produziert bereits jetzt Was-passiert-wenn-Videos auf Portalen wie Youtube. Zudem fällt der Umfang des Spiels riesig aus. Wer nicht durch die Hauptstory hetzt, bekommt hier an die hundert Stunden Sinnvolles zu tun.
Wem hier einiges aus Teil I bekannt vorkommt – schließlich ist „Kingdom Come: Deliverance II“ eine Fortsetzung: ein stückweit stimmt das. Auch im ersten Teil steckte sich Warhorse extrem ambitionierte Ziele, was das Erschaffen einer glaubwürdigen Spielwelt angeht. Während der erste Teil sich aber häufig wie ein Gesellenstück anfühlte, dessen Technik spürbar knarzte, ist der Nachfolger deutlich geschliffener und geht, gerade was das NPC-Verhalten angeht, noch deutlich weiter. Trotzdem sollte Spielenden klar sein, dass ein derart komplexes Werk niemals so kantenlos und poliert daherkommen wird, wie linearere Spielerlebnisse – absolute Ausnahmetitel mit Hunderten Millionen Dollar Entwicklungsbudget wie die GTA-Reihe vielleicht ausgeklammert. Auch was Grafik und Charaktermodelle angeht: Die Spielwelt ist stimmungsvoll und hübsch, aber bitte keine butterweichen „Cyberpunk 2077“-Gesichtsanimationen erwarten. Die übrigens komplett deutsche Vertonung des Spiels ist sehr solide.
Muss man Teil I kennen?
Der Einstieg in die Geschichte sollte dagegen auch Neulingen nicht allzu schwer fallen. In Traumsequenzen werden die Ereignisse aus Teil I zusammengefasst und Spielende ohnehin schnell mit viel drängenderen Fragen beschäftigt, als jener, wie nun die Ränkespiele im Vorgänger ausgingen. Heinrich treiben aufgrund der dramatischen Ereignisse zu Beginn des Spiels ohnehin ganz andere Sorgen um: Wo kriege ich ein Bett, Nahrung, ein paar Groschen, eine halbwegs brauchbare Waffe her?
Denn auch einige Survival-Elemente haben es ins Spiel gefunden – Heinrich wird schwächer oder uneffektiver bei allem, was er tut, wenn er müde oder hungrig ist. Als wirklich störend empfanden wir das nie, im Gegenteil: Die Immersion wird dadurch, dass die Märsche oder Ritte, wenn man ein Pferd besitzt, durchs böhmische Mittelalter gut geplant sein wollen, noch weiter erhöht.
Unser Fazit
„Kingdom Come: Deliverance II“ schafft am Ende keinen Spagat zwischen der kurzweilinteressierten Casual-Spielerschaft und den simulationsaffinen Hardcore-Gamern – und will das auch gar nicht. Mit der zweiten Zielgruppe klar vor Augen liefert Warhorse die konsequenteste und beste Version einer mittelalterlichen Welt ab, die es je im Gaming-Bereich gegeben hat. Wem das mittelalterliche Leben auch als Spiel zu unbequem ist: Absolut verständlich. Alle anderen sollten sich dieses Meisterwerk nicht entgehen lassen.
„Kingdom Come: Deliverance II“ ist für Playstation 5, XBox und PC erschienen und je nach Version ab etwa 60 Euro erhältlich.