Klimawandel in der Antarktis Warum Schmelzwasser die Eisschmelze drastisch verstärkt

Markus Brauer/Stefan Parsch ()

Schmelzwasser bedroht die Stabilität des Schelfeises in der Antarktis und kann das Abfließen von Gletschern beschleunigen. Die Menge dieses Wassers wird drastisch unterschätzt , genauso wie die Folgen für den Meeresspiegel.

 
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Angesammeltes Schmelzwasser und Schneematsch auf Schelfeis in der Anaktis, das in den Südlichen Ozean fließt. Foto: Imago/All Canada Photos

Auf dem Schelfeis der Antarktis ist der größte Teil des Schmelzwassers bisher übersehen worden: Dieses Wasser ist gebunden in Schneematsch, der sich im südlichen Sommer bildet und im Januar seine größte Menge erreicht. Dann liegen einer Studie zufolge im Durchschnitt 57 Prozent des Schmelzwassers im Schneematsch und 43 Prozent in Oberflächenseen vor.

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Das Wasser verringert die Stabilität des schwimmenden Schelfeises, was wiederum das Abfließen der Gletscher vom Festland zum Meer hin fördert. Mehr Schmelzwasser könne somit das Abschmelzen des antarktischen Eises beschleunigen, schreibt eine Gruppe um Rebecca Dell von der englischen University of Cambridge im Fachmagazin „Nature Geoscience“.

Schneematsch und Schmelzwasser

„Dieser Schneematsch wurde noch nie in großem Maßstab auf allen großen Schelfeisflächen der Antarktis kartiert, sodass bisher mehr als die Hälfte des gesamten Oberflächenschmelzwassers ignoriert wurde“, erläutert Rebecca Dell. In den üblicherweise genutzten Klimamodellen wird dieses Schmelzwasser bisher nicht berücksichtigt.

Das liegt auch an technischen Problemen: „Es ist schwierig, Schneematsch zu kartieren, da er von einem Satelliten aus betrachtet wie andere Dinge aussieht, beispielsweise wie Schatten von Wolken“, betont Dell.

Angesammeltes Schmelzwasser und Schneematsch auf dem Bach-Schelfeis. Enthält modifizierte Copernicus-Sentinel-Daten, 2023. Foto: dpa/Rebecca Dell

Schmelzwasser vergrößert Risse im Eis

Sie und ihre Kollegen nutzten Künstliche Intelligenz (KI), um Satellitenbilder von der Antarktis auszuwerten. Die Forscher trainierten ein Computermodell mittels maschinellem Lernen, um Schneematsch von Schnee, Eis und Oberflächenwasser zu unterscheiden. Diese Methode wandten sie auf 57 Schelfeisflächen an, die Satellitenaufnahmen stammten aus den Jahren 2013 bis 2021.

Angesammeltes Schmelzwasser und Schneematsch auf dem Tracy-Tremenchus-Schelfeis, das in den Südlichen Ozean fließt. Enthält modifizierte Copernicus-Sentinel-Daten, 2018, verarbeitet von Rebecca Dell. Foto: dpa/Rebecca Dell

Die Menge des Schmelzwassers ist deshalb wichtig, weil das Wasser Risse im Eis vergrößern kann, was das Eis instabiler macht. Zudem ist Wasser dunkler als Schnee oder Eis, es reflektiert deshalb weniger Sonnenlicht und wärmt sich entsprechend stärker auf. Auch dies trägt zum schnelleren Abschmelzen von Eis bei.

Kollabierendes Schelfeis lässt Meeresspiegel steigen

Zwar kann das im Schneematsch gebundene Wasser Risse im Eis nicht im selben Maße vergrößern, wie es Wasser in Schmelzwasserseen vermag. „Aber es ist definitiv etwas, das wir berücksichtigen müssen, wenn wir versuchen vorherzusagen, wie oder ob Schelfeis zusammenbrechen wird“, erklärt Co-Autor Ian Willis von der University of Cambridge.

Wenn Schelfeis kollabiert, dann können die Gletscher, die sich dahinter auf dem Festland befinden, schneller abfließen. Dies würde zur Erhöhung des weltweiten Meeresspiegels beitragen.

Angesammeltes Schmelzwasser und Schneematsch auf dem Nivlisen-Schelfeis. Enthält modifizierte Copernicus-Sentinel-Daten, 2020. Foto: dpa/Rebecca Dell

Wärmeres Meerwasser drängt sich zwischen Gletscher und Fels

Einen weiteren Effekt, der zum schnelleren Fließen von Gletschern beitragen könnte, haben Alexander Bradley vom British Antarctic Survey (BAS) in Cambridge und Ian Hewitt von der University of Oxford in einer Studie modelliert, die ebenfalls in „Nature Geoscience“ veröffentlicht wurde.

In jenem Bereich, in dem ein Gletscher von felsigem Untergrund auf Meerwasser trifft – der sogenannten Aufsetzzone –, kann sich zunehmend wärmeres Meerwasser zwischen Gletscher und Fels schieben und damit den Untergrund rutschiger machen.

„Wir haben festgestellt, dass das Schmelzen der Aufsetzzone ein kipppunktähnliches Verhalten aufweist“, sagt Bradley laut einer Mitteilung des BAS. Dabei könnte schon eine sehr kleine Änderung der Meerestemperatur eine sehr große Zunahme des Schmelzens der Aufsetzzone verursachen – und so den Gletscher ins Rutschen bringen.