Rostock - Beim neuen Rostocker „ Polizeiruf 110“ geht es vor allem in eine Richtung - bergab. Der Krimi beginnt mit Bildern einer heruntergekommenen Werft und einer Nachrichtensprecherin, die aus dem Off erklärt, dass es mit diesem Betrieb bald vorbei sein dürfte. Das ist leider brandaktuell. Denn die MV-Werften haben erst kürzlich einen massiven Stellenabbau angekündigt, nachdem die Corona-Krise den asiatischen Mutterkonzern schwer getroffen hat.
 
„Sabine“ heißt die Folge am Sonntag (20.15 Uhr) im Ersten. Die Namensgeberin, die im Mittelpunkt steht, wird von Luise Heyer beklemmend intensiv gespielt: Sie ist Aufstockerin, das heißt, sie kann nicht von dem leben, was ihr eine Zeitarbeitsfirma für die Arbeit in der Werftkantine zahlt.
 
Apathisch blickt Sabine ins Nichts, während sie zur Arbeit unterwegs ist oder mit dem Fahrstuhl zu ihrer Wohnung im Plattenbau fährt. Die Bank will ihr kein Geld geben, das Amt will keine weitere Umschulung und die Lehrerin will den Sohn trotz Eignung nicht für das Gymnasium empfehlen, weil Sabine ihn ja ohnehin nicht ausreichend unterstützen könne. Dazu die dunkle Wohnung ohne Strom und das Geschrei der Ehefrau, die nebenan zum wiederholten Mal verprügelt wird.
 
Auch in der Welt von LKA-Profilerin Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und ihrem Kollegen Kommissar Alexander Bukow (Charly Hübner) herrscht alles andere als eitel Sonnenschein: Beide sind sich zwar zum Ende der vorhergehenden Folge schließlich nahe gekommen, allerdings hatte Bukow da gerade seinen Vater verloren und Katrin - neuerdings nicht mehr nur „Frau König“ - wäre fast wahnsinnig geworden. Und so kommt wenig Romantik auf zwischen dem grübelnden Bukow und der verunsicherten und verkrampften König. Ob das gewollt ist, ob man es auf die teils ungelenke Inszenierung zurückführen kann oder ob hier die Chemie nicht stimmt, könnte sich in weiteren Folgen auflösen.
 
Nach all der Tristesse ist es fast eine Erlösung, als endlich jemand stirbt, erschossen von Sabine, die nicht mehr einstecken kann und jetzt austeilt. Auf ihrem Plattenbaubalkon raucht sie die Zigarette danach und grinst zum ersten Mal zu hoffnungsvoll-kämpferischer Musik - dem Rio-Reiser-Klassiker „Halt dich an deiner Liebe fest“. Nach dieser merkwürdigen Aufhellung haben Bukow und König ihren Fall. Und Sabine belässt es nicht bei einem Toten.
 
Trostloser als Regisseur Stefan Schaller und Autor Florian Oeller kann man Rostock kaum zeigen. Gescheiterte Existenzen wandeln durch eine zwielichtige Kulisse aus Plattenbau, verlassener Betriebskantine, glanzlosen Büros und bedrohlichen Industriehallen, als wäre die DDR gerade erst zusammengebrochen.
 
Hinzu kommen zahlreiche Nahaufnahmen von Sabines verstörtem Gesicht. Hier wird bewusst Nähe zum Publikum aufgebaut - mit Erfolg. Die wenigen Male, in denen es sich aufhellt oder Entschlossenheit zeigt, wirken geradezu heilsam, obwohl Sabine Menschen erschießt. Und weil das kein Ausweg ist, hilft gegen die Trostlosigkeit am Ende nur die Weite der Ostsee, die - an der Steilküste westlich von Warnemünde in Szene gesetzt - zur Mitte des Films und am Ende Versöhnung bringt.