Kulmbach Die verborgene Sucht

Mit einem Zelt auf dem Kulmbacher Marktplatz wies Sozialpädagogin Gunhild Scheidler auf die drohende Gefahr der Wohnungslosigkeit hin, die viele Spieler durch ihre Sucht ereilt. Foto: Christian Weidinger

Am Anfang steht der Gewinn. Dann folgt der Absturz. Manche Glücksspieler verlieren sogar ihre Wohnung. Daran erinnert nun eine Aktion am Kulmbacher Marktplatz.

 
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Kulmbach - Das Herz rast. Die Hände schwitzen. Glücksgefühle durchfluten den Körper. Alle trüben Gedanken - auf einen Schlag wie weggeblasen. Ein unbeschreibliches Gefühl. Dann kommt der Absturz. Nicht gleich, schließlich hat jeder mal Pech. Beim nächsten Spiel knackst du sicher den großen Jackpot. Kannst dir endlich leisten, wonach du dich schon lange sehnst. Doch der große Gewinn bleibt aus. Dann eben beim nächsten Mal. Du brauchst nur noch ein wenig Geld. Vielleicht leiht dir jemand noch etwas, notfalls verpfändest du eben dein Haus. Doch das Glück bleibt aus. Verzweifelt erhöhst du deinen Einsatz, immer wieder. Dann ist es aus. Das letzte Geld ist verspielt. Das Haus gehört jetzt jemand anderen. Deine Frau ist schon lange weg, irgendwann konnte sie es einfach nicht mehr ertragen zuzusehen, wie du lügst und betrügst - und am Ende alles verspielst. Endstation Straße. Angekommen im Abgrund.

Gefühle eines Spielers, der irgendwann alles verloren hat. Spielsucht ist keine Seltenheit, auch wenn es Betroffene lange gelingt, diese verborgen zu halten. "Rein rechnerisch leiden alleine in der Stadt Kulmbach 1500 Menschen an Spielsucht", erklärt Gunhild Scheidler. Die Sozialpädagogin steht vor einem blauen Zelt. Sie hat es mitten auf dem Kulmbacher Marktplatz, unweit des Brunnens aufgeschlagen. An ihm sind große Zettel aufgebracht. "Miete verzockt?" steht auf einem geschrieben.

"Mir geht es mit meiner Aktion darum, auf das Thema aufmerksam zu machen", sagt Scheidler. Sie betreut die Suchtberatungsstelle der Diakonie Bayreuth, die auch zweimal wöchentlich in Kulmbach für Betroffene geöffnet ist. Hilfesuchende erzählen ihr häufig , dass ihre Sucht nicht ernst genommen wird, wenn sie jemanden davon erzählen. "Dann hör‘ halt einfach mit dem Spielen auf", bekommen Betroffene oft von ihren Angehörigen zu hören. Doch so einfach geht das nicht. "Abgesehen davon, dass die körperliche Komponente fehlt, ist die Sucht von ihrer Gefährlichkeit durchaus mit Drogen oder Alkohol zu vergleichen", erzählt Scheidler. Mit dem Spielen aufzuhören ist anders, aber keineswegs einfacher. "Das Problem beim Spielen ist, dass auf das Suchtmittel nicht verzichtet werden kann. Alkohol kann man aus seiner Wohnung verbannen - Geld nicht", weiß die Sozialpädagogin.

Bis es so weit ist, muss erst einmal der Leidensdruck groß genug sein. Gut zureden, Vorwürfe machen oder drohen bringe oft nichts. Auch nicht, die Schulden des Sohnes oder des besten Freundes zu tilgen, weil der dann wenigstens keine Probleme mehr mit seinen Gläubigern hat. "Erst wenn die Person ganz unten angekommen ist, wird der Spielsüchtige bereit sein, sich Hilfe zu suchen", rät die Sozialpädagogin. Bis es so weit ist, können auch Angehörige bei ihr Hilfe suchen. Später, zu der eigentlichen Suchtberatung, ist es besser, wenn der Partner daheim bleibt.

Nur zirka 25 Prozent Spielsüchtigen sind Frauen. Zur Beratung kommen aber weit weniger. "Der Grund hierfür ist, dass Frauen sich mehr dafür schämen als Männer", berichtet Scheidler. Auch die Gründe für die Sucht sind anders als bei den Männern. Oft spielen Traumata eine Rolle. Daneben suchen viele die Ablenkung, um endlich von ihren negativen Gedanken weg zu kommen. Selbst die Spielweise unterscheidet sich ein wenig: Während Männer in erster Linie den "Kick" suchen und viel Geld auf riskante Wetten setzen, spielen Frauen kontrollierter. Durchdachter.

Gibt es so etwas wie die typische Karriere eines Spielers? "Meist beginnt es im Freundeskreis. Ein hoher Gewinn, und schon ist der Spieler auf den Geschmack gekommen. Die Euphorie, die er dabei spürt, möchte er immer wieder erleben", erläutert die Suchtberaterin.

So beginnt der Teufelskreis. Denn selbstverständlich wird ein Mensch nicht durchgehend gewinnen, sehr viel öfter verliert er. Der Frust, der dadurch auftritt, ist nur schwer auszuhalten - deshalb spielt er erneut, um sich endlich wieder gut zu fühlen.

Eine große Gefahr stellen auch Sportwetten dar. Betroffen sind meist Männer, die beispielsweise im Fußballverein auf das nächste Bundesligaspiel tippen. Der Gewinn ist auch hier alles andere als ein Segen. "Der Spieler ist dann der Crack in der Gemeinschaft", meint Scheidler. Und will natürlich mehr. Er wird immer häufiger alleine spielen, immer mehr Geld verwetten.

Der einsame Zocker, der in der Kneipe Stunde oder Stunde vor dem Automaten verbringt, gehört dabei zunehmend der Vergangenheit an. Zunehmend wird heutzutage im Internet gezockt. Mitunter auch an der Börse. Es mag die Ausnahme sein, dass ein Spieler tatsächlich seine Wohnung verzockt, aber es kommt vor. Scheidler wird nicht aufhören, daran zu erinnern.

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