Kulmbach Voyeurismus am Unfallort

Henrik Vorbröker
Nicht immer bleiben die Schaulustigen hinter der Absperrung. Immer wieder geraten Ersthelfer mit Gaffern aneinander, die sich nicht an die Anweisungen der Notfallrettung halten. In Kulmbach gibt es nur selten Probleme mit Gaffern. Foto: dpa

Schaulustige machen vor allem auf den großen Autobahnen den Rettern das Leben schwer. In Kulmbach rufen die Einsatzkräfte die Polizei, wenn Gaffer im Weg sind.

 
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Kulmbach - Ein lauter Knall, Blaulicht und Sirenengeheul: Ein Unfall ist ein tragisches Ereignis und oft mit einem großen Aufgebot an Rettungskräften verbunden. Und doch birgt diese Szenerie für viele Menschen eine Faszination. Was ist passiert? Gibt es was zu sehen? - Das sind die Fragen, die sich Schaulustige stellen. In der Folge treibt sie ihre Neugier an den Ort des Geschehens - so nah ran wie möglich. Wenn diese Menschen aber die Einsatzkräfte bei ihrer Arbeit behindern, kann es gefährlich werden. Dann wird ein Schaulustiger schnell zum Gaffer.

Das "Darknet" - Gaffen im Internet

Vom Drogenkauf bis hin zu Videos von Verkehrsunfällen - jeder kann alles im sogenannten "Darknet" sehen. Deshalb genießt der anonymisierte Internetzugriff, der in Deutschland über einen speziellen Internet-Browser funktioniert, einen denkbar schlechten Ruf. Und doch sind es nicht nur Kriminelle, die das unsichtbare Surfen im Internet für Ihre Zwecke nutzen. Journalisten surfen im geschützten Netz beispielsweise, um ihre Quellen geheim zu halten - der arabische Frühling wäre ohne die geheime Welt des "Darknet" wohl kaum möglich geworden. Das Tor in die Welt des "dunklen" Internets heißt TOR: "The Onion Router" (engl. "Der Zwiebel-Router"). Das Wort "Zwiebel" deutet die "Schichten" an, die User verwenden müssen, um sich im Web ungesehen bewegen zu können. Anders als beim gewöhnlichen Surfen verbindet sich der Computer nicht direkt mit dem Server, auf dem die Website liegt. Stattdessen werden eine ganze Reihe von Servern in Reihe geschaltet, die die Spur des Users verschleiern. Eine Rückverfolgung zur eigenen Computer-IP ist nahezu unmöglich.

Yves Wächter ist Pressesprecher der Feuerwehren des Landkreises Kulmbach und kennt das Phänomen nur zu gut: "Das Gaffen ist ein unangenehmes Problem, mit dem die Feuerwehren zu kämpfen haben. Allerdings muss ich auch sagen, dass man im Einsatz alles andere ausblendet und sich ganz auf die Unfallopfer konzentriert. Auf den Autobahnen A 9 und A 70 im Kreisgebiet kommt es zum Glück selten vor, dass die Polizei uns bei der Abwehr von Gaffern unterstützen muss."

Dabei nehmen einige Störenfriede billigend in Kauf, dass sie Notarzt und Feuerwehr erheblich dabei behindern, Leben zu retten. Eine Spur dreister geht es aber dennoch: Immer wieder tauchen im Internet, zum Beispiel auf Youtube, vor allem aber im sogenannten Darknet, verstörende Aufnahmen auf. Das Darknet ist ein Bereich des Internets, der es Usern ermöglicht, selbst verbotene Inhalte zu veröffentlichen. Da die Spur des Users nicht zurückverfolgbar ist, nutzen Kriminelle diese Möglichkeit oft aus, um beispielsweise Videos von Verkehrsunfällen zu teilen. Viele davon werden noch vor dem Eintreffen der Rettungskräfte gemacht und sind in ihrer Grausamkeit, vor allem für die Angehörigen der Unfallopfer, nicht zu ertragen. Filmen, statt zu helfen: Menschen, die dieser Art des Voyeurismus frönen, müssen in Deutschland mit harten Strafen rechnen. Dabei greift ein neues Gesetz, das 2017 vom Bundesrat gebilligt wurde, schon viel früher: Bereits das Nichtbilden einer Rettungsgasse auf der Autobahn kann mit mindestens 200 Euro geahndet werden. Darüber hinaus müssen die Täter mit einem Fahrverbot rechnen. Gaffer, die die Einsatzkräfte erheblich stören, können jetzt mit Geldstrafen von bis zu 10 000 Euro belegt werden - auch eine Haftstrafe ist möglich. Thomas Hoffmann von der Freiwilligen Feuerwehr in Neudrossenfeld findet es richtig, dass der Staat in diesen Fällen hart durchgreift: "So etwas muss bestraft werden. Die Schmerzgrenze ist erreicht, wenn Menschen anderen beim Sterben zusehen. Der normale Menschenverstand gebietet es allein schon, in so einer Situation zur Seite zu treten und die Rettungskräfte ihre Arbeit machen zu lassen."

Das Verhalten der Leute sei dabei unberechenbar, sagt der Kreisbrandmeister. Hoffmann weiß aus eigener Erfahrung, dass es "tagesformabhängig" sein kann, ob die Menschen auf der Autobahn in einer Notsituation eine vorgeschriebene Rettungsgasse bilden oder nicht: "Es gibt solche und solche Situationen. An manchen Tagen klappt alles wunderbar und die Einsatzkräfte kommen ohne Probleme zum Unfallort durch. Dann gibt es wieder Momente, in denen es nicht funktioniert und die Kollegen sich ihren Weg durch die Fahrzeuge kämpfen müssen."

Verständnis für die, die die Rettungsgasse als Möglichkeit nutzen, um schnell weiter zu fahren, hat Thomas Hoffmann nicht. Handelten alle so, dann verstopfe die vorgeschriebene Gasse komplett und es komme niemand mehr auf absehbare Zeit voran, betont er. Schlimmer sei jedoch das exzessive Gaffen mit Handy im Anschlag, dass in Kulmbach aber selten vorkomme. Wenn es dann doch passiert, erleben es die Rettungssanitäter oft als Erstes.

Michael Martin ist Leiter des Rettungsdienstes im Landkreis Kulmbach und kritisiert noch einen ganz anderen Aspekt, der sich dann ergibt, wenn Gaffer ihr Smartphone zücken: "Wir sind ständig unter Beobachtung. Das bedeutet Stress für die Sanitäter, die damit beschäftigt sind, Leben zu retten." Ein anderes Thema ist für den Dienstleister ebenfalls die Rettungsgasse. Diese funktioniere in der Stadt weniger gut. Nach Worten Martins wissen die wenigsten Bürger beispielsweise, welches Verhalten an roten Ampeln richtig ist, wenn ein Krankenwagen mit hoher Geschwindigkeit auf einen zukommt: "Fahren Sie vorsichtig "in" die rote Ampel hinein. Das ist in diesem Fall erlaubt, um dem Rettungswagen Platz zu machen." Grundsätzlich hielten sich die Kulmbacher aber an Recht und Ordnung - größere Probleme mit Gaffern hat Michael Martin selbst noch nicht gehabt.

Das kann Stadtbrandmeister Michael Weich nur bestätigen: "Im Kulmbacher Stadtgebiet erleben wir im Jahr vielleicht drei Fälle, in denen Passanten vorsichtig nachfragen, was passiert ist und das ist okay. Erhebliche Behinderungen bei den Rettungsarbeiten sind uns Gott sei Dank noch nicht untergekommen."

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