pathetischer, verklemmt erotischer oder verlogen heileweltlicher Kitsch. Was heute unangezweifelt als druckvoll neuschöpferische Avantgarde der Zeit rangiert, verfiel indes dem Verdikt der Nazis. In einer Schandschau, eröffnet am Tag nach der "Tempel"-Weihe, lieferten sie dem "gesunden Menschenverstand" des verblendeten Durchschnittsdeutschen "Entartete Kunst" aus, die nicht ins Dogma passte: Arbeiten von Macke, Barlach, den Expressionisten … Auch die anprangernd-grotesken Weltkriegs-Schreckensbilder von Otto Dix. Der wusste über seine Werke nur zu gut Bescheid: "Kein Mensch will das sehen, die ollen Huren, die abgetakelten Weiber, die Kümmernisse des Lebens. Kein Mensch hat Freude daran." Und rhetorisch fragte er sich: "Wozu malst du das überhaupt?" Jedenfalls nicht zur stolzen Erhebung national erweckter Gemüter. In seinen Grafiken und Malereien trachtete Dix "zur Sinngebung unserer Zeit zu gelangen. Ich glaube, ein Bild muss vor allem einen Inhalt, ein Thema ansprechen." Denn für "wichtiger als das Wie" hielt er "das Was" in der Kunst, die für ihn "Bannung" war. Immer wieder bannte er, grausig ins Apokalyptische ausgreifend, die Barbarei des Kriegs, seine Opfer und Profiteure. Als radikalste Form eines "Naturereignisses" sah er ihn an. Ebenso suchte er in seinen Porträts, Ikonen der Neuen Sachlichkeit, statt Schönheit die Wahrheit verdeckter Abgründe. "Entweder ich werde berüchtigt oder berühmt", hatte Dix von sich erwartet. Als er heute vor 50 Jahren in Singen starb, hatte er, der Ächtung durch die Nazis zum Hohn, längst beides erreicht.
Kunst und Kultur Das Was vor dem Wie
Michael Thumser 24.07.2019 - 20:58 Uhr