Kunst und Kultur Die ganze Welt kippt um

Michael Thumser
Wo Geld ist, werden Gefühle entbehrlich: Lord und Lady (Oliver Hildebrandt, Susanna Mucha) finden einander zum Davonlaufen. Foto: Harald Dietz

Edward Bonds "Restauration" - Lustspiel oder Langweiler? Ein Mordsdrama aus England spaltet nach gut drei Stunden das Premierenpublikum im Theater Hof.

 
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Hof - Tatort Herrensitz: In Englands Landschlössern ist gut meucheln. Der Bücherwurm weiß das aus zahllosen Brit-Krimis, der Besucher des Theaters Hof seit "Mord auf Schloss Haversham". Dort ging das Schauspielensemble krachend in zerstörerischer Windeseile zu Werk. Jetzt, für "Restauration", nimmt es sich Zeit. Gut drei Stunden zieht sich die "Idylle" hin, die der Brite Edward Bond 1981 in London herausbrachte und die, vor dreißig Jahren, nur ein deutsches Theater nachspielen wollte. Ein vergessenes Stück, nicht ohne Grund.

Darf man es, seit Freitag in Hof, für eine lukrative Wiederentdeckung halten? Lohnt "Restauration" die umfängliche Restaurierungsarbeit Reinhardt Frieses? Oder mutet der inszenierende Intendant dem Zuschauer einen langen, langwierigen Langweiler zu? Nach der Premiere geht in Peter Kampschultes Restauration, seiner Theatergaststätte, ein Riss durchs debattierende Publikum: "Sensationell", urteilen die einen; die andern finden's "unerträglich".

Ins England des 17. Jahrhunderts legte der Autor seinen Stoff. Während der "Restoration" der Monarchie nach der Cromwell-Diktatur feiert auch der feudale Adel fröhliche Urständ. Er tut, was er will, und lässt die Untertanen die Suppen auslöffeln, die er versalzt. Zum Beispiel Bob, der folgsame Diener von Lord Are: Treudoof sieht er zu, wie sein nichtsnutziger Herr ihm dessen Mord an der ungeliebten, aber geldwerten Gattin in die Schuhe schiebt - allergehorsamst steckt Bob den Hals in die Schlinge. Eine "Idylle"? Den Untertitel fügte der agitierende Sozialist Bond als sarkastische Satire hinzu: Statt um ländliche Schäferstündchen herumzuparlieren, reden sich die Reichen mit eleganter Niedertracht aus der Bredouille heraus, und die Armen reden sich um Kopf und Kragen.

Geredet wird viel. Zu viel: Daran kranken Stück und Produktion. Für die unanfechtbare, indes sattsam bekannte Wahrheit, dass der Ober den Unter sticht, hätten maximal zwei Drittel der ausufernden Textmenge genügt. Bewunderung verdient Oliver Hildebrandt dafür, dass er die unerschöpflichen Suaden und Sottisen des Lords ohne Holpern und Stolpern, Hängen oder Würgen absolviert. Die Karikatur eines "Gecken" stellt er vor, der sich an der eigenen Geziertheit berauscht, mit schwuchtelig gespreizten Gliedern und affektiertem Sprechsingsang. Ein bombastisch-bunter Gockel - Ausstatterin Annette Mahlendorf stiftete ihm und Susanna Mucha als seiner gallig gellenden Lady für jeden Auftritt ein Extra-Prachtgewand. Dass Ares erbarmungslose Bosheit mehr ist als nur ein greller Fleck auf seiner geschminkten Oberfläche, sieht die Regie indes nicht vor.

Natürlichere Farben, erdige vor allem, tragen die Akteure auf die Figuren des niederen Standes auf. Als handfeste Haushälterin bringt Anja Stange keine Bildung, aber Herzensbildung mit. Jörn Bregenzer als ihr Sohn Bob und Lord Ares Sündenbock mag nicht glauben, dass sein Herr ihn heuchelnd in die Pfanne haut, bis er am Galgen dran glauben muss. Mit wachsender Vehemenz verkündet Dominique Bals als geständiger, todbereiter Dieb, dass für ihn alle Reichen "der Feind" sind, den er "zur Hölle jagt". Jagen möchte, denn der Feind paktiert: Einträglich arrangiert sich Lord Are mit dem besitzbürgerlichen Schwiegervater: Ralf Hocke, ungewohnt mit derart kalter Schnauze, macht aus der toten Tochter einen Deal. Bob, "der Lümmel, wird hängen, und die Wahrheit mit ihm". Die "ganze Welt kippt um", räsoniert ein blinder Schweinehirt (Peter Kampschulte): Das sieht er richtig.

Bond, der Brecht der Briten? Monologe und Zur-Seite-Sprechen trennen die Wechselreden; eine "Gardine", halbhoch, gibt es auch hier auf der Bühne, deren hinteres Ende ein textiles Halbrund markiert. Das edle Glitzern des Stoffs muss dem Luxus-Lord gefallen. Zu den "epischen" Zutaten gehören erst recht die - von Nick Bicât vertonten - Songs, denen eine von Willi Haselbek einstudierte Kombo hörenswert Dampf macht. Teils mehrstimmig legen sich die Schauspieler ins Zeug, am ausdrucksvollsten Charlotte Thompson als Bobs schwarzafrikanische Frau Rose, am eindringlichsten, lyrischsten am Ende: Letztlich immer eine Fremde unter den Reichen wie den Armen, hält allein sie an der längst verratenen, verkauften Wahrheit fest; vergebens. Alternative Fakten triumphieren: Die Idylle wird nicht restauriert, nicht einfach wiederhergestellt. Sie wird erstunken und erlogen, bis sie passt.

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Nächste Vorstellung: Samstag,
19.30 Uhr.