Länderspiegel Seniorenresidenz im Zwielicht

Bastian Benrath

Nach den mysteriösen Todesfällen im Seniorenheim in Untermerzbach kündigt Gesundheitsministerin Huml Konsequenzen an. Dabei sind zu den Vorgängen viele Fragen offen.

 
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Der Fall Gleusdorf soll Folgen haben: Laut Staatsanwaltschaft besteht der Verdacht, dass Senioren bewusst ein Arzt verweigert worden ist. Außerdem sollen Bewohner misshandelt und Medikamente ausgetauscht worden sein. Quelle: Unbekannt

Untermerzbach - In der "Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf" im unterfränkischen Untermerzbach im Kreis Haßberge sollen Senioren gestorben sein, weil ihnen bewusst ein Arzt verweigert worden sei - so lautet der Verdacht der Staatsanwaltschaft Bamberg. Mitte November wurden deshalb Pflegedienstleiter und Geschäftsführerin des Heims verhaftet. Staatsanwaltschaft und Kripo ermittelten aber schon seit Mai gegen das Heim. Der Vorwurf: Misshand-
lungen von Bewohnern und Austausch von Medikamenten.

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Was wir wissen

Die Vorwürfe: Die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände schickte am 30. August eine E-Mail an die Heimaufsicht beim Landratsamt Haßberge. Mit dieser erhielt die direkt für das Heim zuständige Behörde nach eigenen Angaben zum ersten Mal Hinweise über Misshandlungen. Das Gesundheitsministerium in München - als oberste Aufsichtsbehörde - erfuhr gar erst Mitte Oktober davon, dass in dem Heim mutmaßlich Senioren misshandelt werden - und zwar durch einen Zeitungsbericht.

Die Reaktion der Behörden: Prüfer der Heimaufsicht des Landratsamts fuhren zwei Tage nach der E-Mail, am 1. September, nach Untermerzbach und überprüften die Einrichtung. "Dabei konnten keine Hinweise auf Misshandlungen der Heimbewohner festgestellt werden", heißt es vom Landratsamt. Am 16. November, am 6. Dezember und am 12. Januar 2017 sei "Gleusdorf" erneut überprüft worden. "Vereinzelt" seien dabei "wiederholte Mängel" festgestellt und "entsprechende Anordnungen" erlassen worden. Aber: Es handelte sich "nicht um Mängel, die eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Bewohner darstellten".

Die bisherigen Ermittlungen: Die Staatsanwaltschaft prüft insgesamt fünf ungeklärte Todesfälle. In einem Fall - ein alter Mann stürzte, über mehrere Tage sei trotz sich "drastisch verschlechternden" Zustands kein Arzt gerufen worden, der Bewohner starb, mutmaßlich deshalb - waren die Beweise so stark, dass sie als Grundlage für den Haftbefehl ausreichten. Mitte Dezember wurde die Leiche einer vor drei Jahren gestorbenen Frau exhumiert, um der Todesursache auf den Grund zu gehen. Zudem scheint vor allem die Geschäftsführerin für die Vorfälle verantwortlich gewesen zu sein. Der ebenfalls verhaftete Pflegedienstleiter wurde im Januar aus der Haft entlassen, weil das Landgericht Bamberg bei ihm keinen dringenden Tatverdacht mehr sah.

Konsequenzen: Gesundheitsministerin Melanie Huml will in Reaktion auf den Fall Gleusdorf die Kommunikation zwischen den Behörden verbessern - wohl vor allem zwischen Staatsanwaltschaft und Heimaufsicht. Auf dpa-Anfrage erklärte sie, sie werde mit Innen- und Justizministerium in Kontakt treten, um "einen engen Informationsaustausch anzuregen". Für die Heimaufsicht will Huml eine Gesetzesnovelle erarbeiten. Hauptaufgabe der Heimaufsichten sei nach aktueller Gesetzeslage die "Beratung" von Heimen. "Hier wäre es denkbar, im Gesetzestext festzuschreiben, dass eine Beratung bei erstmaliger Feststellung des Mangels erfolgt, aber bei wiederholter Feststellung eine Anordnung erfolgen muss."

Was wir nicht wissen

Misshandlungen: Möglicherweise gab es überhaupt keine Misshandlungen in dem Heim. Vielleicht haben die Prüfer sie aber auch schlicht nicht mitbekommen. Eine Prüfung sei immer eine "Momentaufnahme" - "wenn durch kriminelle Energie Straftaten in der Vergangenheit durchgeführt wurden", könne die Heimaufsicht das nicht rückwirkend ermitteln, erklärt das Landratsamt. Dieselbe Position vertritt auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK). In dem Heim seien "manifeste pflegerische Defizite" festgestellt worden.

Was spricht für Misshandlungen? Das entschlossene Handeln der Staatsanwaltschaft. Als im November Zeugen den Ermittlern erstmals davon berichteten, dass in dem Heim auch Menschen zu Tode gekommen seien, weil ihnen ein Arzt verweigert worden war, nahmen sie die beiden Verantwortlichen in Haft. Das ist der Deutschen Stiftung Patientenschutz zufolge sehr ungewöhnlich. Ein eindeutiger Beleg für Misshandlungen ist es aber nicht. In der Regel blieben Verantwortliche bei Vorwürfen gegen Seniorenheime bis zur Gerichtsverhandlung auf freiem Fuß, sagt Stiftungs-Vorsitzender Eugen Brysch. Zudem: Der Haftbefehl gegen beide lautete auf Totschlag durch Unterlassen - nicht nur auf unterlassene Hilfeleistung.