Taktieren für den Erhalt des Premiersessels
Im Ministerpräsidentenamt, schreibt Ravid weiter, versichere man, dass Netanjahu an einem Geiselabkommen ehrlich interessiert sei. Zugleich habe er die diesbezüglichen Agenden ganz an sich gezogen, behalte sich jede Entscheidung selbst vor. Vielen Beamten sei nicht klar, ob der Premier "auf Zeit" spiele oder wirklich etwas voranbringen möchte.
Manche gehen davon aus, dass Netanjahu einen Deal nicht vor dem Beginn der Sommerpause des Parlaments, der Knesset, unter Dach und Fach bringen wolle. Diese beginnt Ende Juli und dauert drei Monate. In dieser Zeit wäre dann ein Regierungssturz infolge eines Absprungs der ultra-rechten Koalitionspartner nicht möglich.
Auslöser des Krieges war das Massaker in Israel, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Sie töteten rund 1.200 Israelis und verschleppten rund 250 weitere Menschen in den Gazastreifen. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden seit Beginn des Krieges bereits fast 39.000 Menschen im Gazastreifen getötet. Die Zahl, bei der nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterschieden wird, lässt sich derzeit nicht unabhängig verifizieren.
Grundsatzrede vor US-Kongress
Am kommenden Mittwoch will Netanjahu vor beiden Kammern des US-Kongresses eine Rede zum israelischen Vorgehen im Gazastreifen halten. Die Spitzen beider Parteien im amerikanischen Parlament hatten Netanjahu dazu eingeladen. Voraussichtlich wird er auch mit US-Präsident Joe Biden zusammentreffen, teilte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, am Donnerstag mit. Zuletzt waren Biden und Netanjahu im vergangenen Herbst in Tel Aviv persönlich zusammengekommen, kurz nach den Angriffen der Hamas am 7. Oktober.
Indes setzte Israel seine Angriffe in Gaza und im Libanon fort. Im Stadtteil Al-Saitun in der Stadt Gaza griff die Armee eigenen Angaben zufolge mehrere Hamas-Kämpfer an, die ein vom UN-Palästineneserhilfswerk UNRWA verlassenes Gebäude als lokales Hauptquartier genutzt hatten.
Gezielte Tötungen im Libanon
In der libanesischen Bekaa-Ebene tötete das israelische Militär eigenen Angaben zufolge ein im Libanon tätiges Mitglied der Hamas. Die Palästinenser-Miliz bestätigte den Tod ihres "Märtyrers". Mohammed Dschabara sei verantwortlich gewesen für Anschläge und Raketenangriffe auf Israel, teilte das israelische Militär mit. Der Mann kam libanesischen Angaben zufolge ums Leben, als sein Fahrzeug aus der Luft getroffen wurde und in Brand geriet.
Später am Donnerstagabend zerstörte ein israelischer Luftangriff ein Haus in der südlibanesischen Ortschaft Dschamamije. Der Kommandant einer lokalen Hisbollah-Einheit sowie drei seiner Leibwächter wurden getötet, bestätigten libanesische Sicherheitskreise. Die Schiiten-Miliz bestätigte den Tod ihres Kommandanten Habib Matuk. Auch Israel bestätigte die gezielte Tötung des Hisbollah-Mannes.
Israel und die libanesische Hisbollah-Miliz liefern sich seit dem Beginn des Gaza-Kriegs nahezu täglich Gefechte. Auf beiden Seiten gab es Tote. Die vom Iran unterstützte Hisbollah handelt nach eigenen Aussagen aus Solidarität mit der Hamas, die auch im Libanon aktiv ist. Seit langem wird befürchtet, dass sich der Konflikt ausweiten könnte.
Das wird heute wichtig
Der IGH in Den Haag wird heute ein Gutachten zur Rechtmäßigkeit der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete vorlegen. Ein solches Gutachten ist rechtlich zwar nicht bindend. Doch wenn die 15 höchsten UN-Richter in Den Haag feststellen, dass Israel gegen internationales Recht verstößt, dann kann das den internationalen politischen Druck auf Israel erhöhen. Israel hatte nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 das Westjordanland, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen besetzt.
Die UN-Vollversammlung hatte den IGH bereits 2022 damit beauftragt festzustellen, welche rechtlichen Folgen die Besatzungspolitik Israels hat - also lange vor Beginn des heutigen Gaza-Kriegs im Oktober 2023.