5. Ukraine als europäische Sicherheitsmacht
Selenskyj sagte, dass die Ukraine nach einem Ende des russischen Angriffskrieges ihre militärische Erfahrung für die Sicherheit Europas und der Nato nutzen werde. Ihre kriegserprobten Soldaten könnten in Europa sogar US-Truppen ersetzen, sagte er. Dieser Vorschlag zielt offenbar auf die USA. Diese hoffen, ihr Engagement auf dem europäischen Kontinent zurückzufahren - ob unter republikanischer oder demokratischer Regierung. Der ukrainische Vorschlag würde aber eine komplizierte Abstimmung zwischen Washington, den europäischen Hauptstädten und Kiew erfordern.
Selenskyj hatte diesen Plan einschließlich weiterer nicht-öffentlicher Teile bereits in Washington, London, Paris, Rom und Berlin vorgestellt. Am Donnerstag ist eine Präsentation beim Europäischen Rat in Brüssel geplant. Der ukrainische Präsident hofft so, die Brücke zu einem zweiten Friedensgipfel zu schlagen, diesmal mit Beteiligung Russlands - und den Krieg im kommenden Jahr zu seinen Bedingungen zu beenden.
Moskaus Reaktionen
Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, er habe Selenskyjs Rede zwar nicht verfolgt, es handele sich aber um ein Diktat der USA. Dahinter stehe nichts anderes als die amerikanische Absicht, den Krieg weiterzuführen und "bis zum letzten Ukrainer gegen uns zu kämpfen", sagte Peskow. Er sagte, ein Ende des Krieges werde erst möglich, wenn die Ukraine die - wie er es nannte - Perspektivlosigkeit ihrer Politik einsehe. Russland hatte stets betont, den Krieg bis zum Erreichen aller Ziele zu führen, darunter auch die komplette Einverleibung der Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson, die Moskau nur zum Teil kontrolliert.
Der Plan mit "dreisten und provokativen Forderungen" sei ein klassischer Versuch, den Westen in einen direkten Krieg mit Russland hineinzuziehen - mit der Perspektive eines Übergangs zum Dritten Weltkrieg, sagte der Chef des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma in Moskau, Leonid Sluzki. Selenskyj wolle so die Verantwortung für die Vernichtung des ukrainischen Volkes abgeben und die Schuld für das Scheitern dem Westen geben. Es handele sich nicht um einen "Siegesplan", sondern um einen "Plan zur Rettung vor der Niederlage". Selenskyj habe nicht einen Vorschlag zur Lösung des Konflikts gemacht.
Auch ukrainische Opposition kritisiert Selenskyjs Plan
In der prowestlichen Opposition wurde der fehlende ukrainische Anteil an Selenskyjs "Siegesplan" kritisiert. "In der Botschaft ging es nur um Forderungen an die Partner, und es gab kein Wort zu unseren Hausaufgaben, damit wir den Kriterien der Nato-Staaten entsprechen", schrieb die Abgeordnete Iryna Heraschtschenko von der Fraktion des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko bei Telegram. Der Präsident habe kein Wort zu Korruptionsbekämpfung verloren. Der Plan sei wenig realistisch und wirke wie ein Rahmen ohne Inhalt. "Wie sollen wir siegen? Die Partner werden das für uns nicht machen", sagte sie. Ihr Fraktionskollege Olexij Hontscharenko pflichtete ihr bei und verwies auf fehlende konkrete Schritte. "In diesem "Plan" gibt es keinen Plan. Es ist eine Reihe von Losungen und nicht mehr", schrieb er. Es wirke so, als ob jemand anderes alles für die Ukrainer tun solle.