Landkreis Wunsiedel Wenn Weihnachten Wünsche wahr werden

Christl Schemm

Eine Familie aus Deutschland und eine aus Syrien begeben sich zusammen auf eine weihnachtliche Spurensuche. Die Geschichte ist fiktiv, könnte sich aber jederzeit so zutragen.

 
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Viele Menschen in Deutschland – nicht nur Christen – stellen an Weihnachten einen Christbaum auf. Foto: dpa/Bernd Weissbrod

„Papa, was ist eigentlich Weihnachten?“ Taha ist sieben Jahre alt und sitzt bei seinem Vater Ahmad auf dem Schoß. Seit September besucht Taha die Grundschule. So ist es das erste Mal, dass er in der Adventszeit von Weihnachten gehört hat. „Weihnachten heißt in unserer Sprache Eid Milad“, erklärt Ahmad seinem jüngsten Sohn. „Es ist der Geburtstag von Jesus Christus. Die Christen in unserer Heimat feiern das auch, in Syrien, in den Gebieten der Palästinenser, in Jordanien oder im Libanon. Dort ist Eid Milad aber nicht nur ein stilles Fest wie in Deutschland, sondern es gibt Feuerwerk, und viele Menschen feiern auf den Straßen.“

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Die Kinder sind schon aufgeregt

Ahmad, seine Frau Noura und die drei älteren Geschwister Tahas sind 2015 aus Syrien nach Deutschland geflohen. Tahas Großeltern stammen aus Palästina. Doch sie sind, wie Tausende andere Palästinenser auch, mit einer der großen Flüchtlingswellen, die sich wegen der Kriege im Nahen Osten immer wieder in die Nachbarländer bewegt haben, aus dem seit Jahrzehnten umkämpften Land nach Syrien gekommen. Taha wurde in Deutschland geboren und wohnt jetzt mit seiner Familie in einem kleinen Ort im Landkreis Wunsiedel. Ahmad hat Arbeit gefunden, Noura macht einen Sprachkurs, die Kinder gehen zur Schule. Die älteste Tochter hat eine Ausbildung als Altenpflegerin begonnen.

„Werden wir auch Weihnachten feiern?“, fragt Taha seinen Vater. „Die anderen Kinder in der Schule sind schon ganz aufgeregt. Sie basteln Sterne und singen Lieder.“ Eigentlich sei es nicht üblich, dass muslimische Familien Weihnachten feiern, versucht der Syrer seinem Jüngsten zu vermitteln. „Wir werden aber an Eid Milad unsere deutschen Nachbarn besuchen. Du weißt schon, Gerd, Brigitte und die Kinder, und mit ihnen ein bisschen zusammensitzen und gemeinsam essen. Deine Mutter wird zum Weihnachtsessen Speisen aus unserer Heimat wie Kebbe, Kabbse und Babaghanusch zubereiten. Das werden wir zu den Nachbarn mitnehmen.“ „Oh, das wird bestimmt schön“, freut sich Taha. „Und dann kann ich auch mit Lena und Andi spielen.“

Ahmad hat inzwischen gelernt, dass viele Menschen in Deutschland – nicht nur Christen – einen Christbaum aufstellen, dass es zu Weihnachten Geschenke gibt und dass manche Familien am Abend einen Gottesdienst besuchen. „Für die Christen ist Weihnachten ein ganz besonderes Fest“, klärt der Vater den Siebenjährigen auf. Der Junge ist begierig, mehr über Weihnachten zu erfahren und fragt seinem Vater Löcher in den Bauch. Er will zum Beispiel wissen: „Wer ist denn dieser Jesus Christus? Und warum wird sein Geburtstag gefeiert?“ Zwar weiß Ahmad, dass die Christen glauben, Jesus sei der Sohn Gottes. Von der Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium hat er aber nur ganz wenig gehört, als er sich mit deutschen Freunden unterhalten hat.

Viele Fragen

Daher gibt es viel zu fragen und zu erzählen, als die Familien am Abend des 24. Dezember gemeinsam um den Christbaum in der Wohnung der Nachbarn sitzen. Sie haben den traditionellen deutschen Weihnachtsschmaus mit Gans und Knödeln mit genau demselben Appetit und großer Freude über das gute Essen verspeist wie die ganz anders gewürzten Speisen aus Syrien. Als Nachtisch gibt’s bayerische Lebkuchen-Creme und feinste arabische Baklava.

„Jesus wurde vor ungefähr 2000 Jahren in Bethlehem geboren, seine Eltern stammen aber aus Nazareth. Daher gilt Nazareth als Heimatstadt von Jesus Christus“, bringen die Nachbarn ihren neuen arabischen Freunden die Erzählung nahe. „Später war dieser Mann als Wanderprediger unterwegs. Er predigte von Frieden und Liebe. Schließlich wurde er auf dem Hügel Golgatha in Jerusalem gekreuzigt. So steht es in der Bibel.“

Diese Worte lassen Ahmad an die Heimat seiner Familie denken. „Aber Bethlehem ist heute eine Stadt im Westjordanland. Sie gehört zu den palästinensischen Autonomiegebieten und grenzt im Norden an Jerusalem. Und Nazareth ist die bedeutendste arabische Stadt in Israel. Da sind viele arabische Christen“, überlegt er und lässt die anderen an seinen Gedanken teilhaben. „Bethlehem und Nazareth sind genau da, wo es immer wieder Krieg gibt zwischen Israelis und Palästinensern. Jesus Christus könnte wahrscheinlich heute nicht mehr einfach so in dem Gebiet umherwandern und seine Ideen predigen. Das würden sie ihm heute verbieten. Er würde an Kontrollstellen und Absperrungen aufgehalten. Vielleicht würde sogar auf ihn geschossen, oder er käme in einen Bombenhagel.“

Ein gemeinsames Gebet

Sehr schlimm sei das, sind sich die Familien einig. Sowohl aus israelischer als auch palästinensischer, aus christlicher oder einfach aus menschlicher Perspektive. Da hat der kleine Taha eine Idee: „Wir könnten doch zusammen beten, dass der Krieg aufhört und die Menschen nicht mehr sterben müssen.“ So machen sie es auch. Und Ahmad sagt in die Runde: „Egal, wie Gott auch in den verschiedenen Religionen heißt: Wir alle, Moslems, Juden und Christen, beten zum selben Gott. Deswegen braucht man sich nicht zu streiten oder gar Krieg zu führen. Alle haben das Recht auf Leben und Menschlichkeit.“

Taha auf blickt von seinem Spielzug auf. Nachdenklich nickt er seinem Vater zu: „Milad Magid, Papa!“ „Frohe Weihnachten, mein Junge!“