Landkreis Wunsiedel will einen digitalen Verkehr Bürger sollen aufs Auto verzichten können

Per App sich schnell ein E-Bike an einer von mehreren Mobilitätsstationen mieten, das könnte im Landkreis Wunsiedel vielleicht schon in einiger Zeit Realität werden. Foto: dpa/Stefan Weißenborn

Der Landkreis bewirbt sichfür ein Projekt, mit dem der öffentliche Nahverkehr völlig neu gedacht wird. Das funktioniert vor allem mit Hilfe digitaler Technik.

 
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Wunsiedel - Ein wenig Science-Fiction gehört mittlerweile zum guten Ton in Sitzungen des Wunsiedler Kreisausschusses. Seit der Landkreis Wunsiedel eine Smart-Cities-Region ist, scheint nichts mehr undenkbar zu sein. In der jüngsten Sitzung am Montagabend war es an Lukas Ruhl, Bausteine für einen völlig neuen öffentlichen Nahverkehr vorzustellen. Ruhl ist im Landratsamt für die Mobilität im Landkreis zuständig und hat zusammen mit seinen Kollegen bereits ein innovatives Konzept mit Anrufbussen und On-Demand-Verkehr (hier fährt der Bus noch individueller auf Bestellung) entwickelt. Nun hat er ein Förderprojekt des Bundes entdeckt, mit dessen Hilfe der herkömmliche ÖPNV eine weitere Stufe erklimmen könnte. Vielleicht gelingt es dadurch irgendwann tatsächlich, dass Bürger ihr Auto stehen lassen und lieber neuartige Angebote nutzen.

In der Sitzung stellte Ruhl die Ideen vor, wie künftig Landkreisbürger unkompliziert von A nach B kommen könnten.

Die Mobilitäts-App

Am Anfang war im Fall der Mobilität nicht das Wort. Es sind die Daten. Ohne die läuft in der heutigen digitalen Welt nichts. „Wir wollen für unsere Fahrgäste eine App bauen, in der sämtliche Mobilitätsangebote enthalten sind. Dabei handelt es sich zugleich um ein Auskunfts- und ein Buchungsportal.“ Im Hintergrund könne die Plattform die entstehenden Daten auswerten und die Angebote kontinuierlich an die Bedürfnisse der Nutzer anpassen. Die App ist das Herz des künftigen Nahverkehrs in Landkreis Wunsiedel. Lukas Ruhl hält hierbei einen Open-Data-Ansatz für sinnvoll. Das bedeutet, dass jeder, der Daten für die App bereitstellt, letztlich auch die Hoheit über sie behält.

Dies ist für die Belange des Datenschutzes von Bedeutung, für den Alltag der Bürger jedoch weniger interessant. Dieser will wissen, wie er am schnellsten zum Beispiel von Fischern nach Nagel kommt. Diese Frage soll sich auf einfache Art mit einer App klären lassen. Der Bürger muss fortan nur noch sein Smartphone zücken und die Mobilitäts-App öffnen. Auf einem Blick sieht er dann, welches Verkehrsmittel für die Fahrt naheliegend ist.

On-Demand-Bus

Denkbar sind viele. So etwa besagter On-Demand-Bus. Dieser soll in Kürze im Stadtgebiet Marktredwitz und in den Städten Schönwald und Selb getestet werden. Bürger können hier einen Bus (wahrscheinlich einen Kleinbus) bestellen, ohne dass sie auf eine bestimmte Linie festgelegt sind. „Um viele Einzelfahrten zu vermeiden, versuchen wir, möglichst viele zusammenlegen. Wenn mehrere Bürger zu einer bestimmten Zeit in die ähnliche Richtung wollen, können diese Fahrten gebündelt werden“, sagte Ruhl. Die Nutzer buchen und bezahlen den On-Demand-Bus mit der Mobilitäts-App. Sollte sich das Angebot bewähren, könne es auf weite Teile des Landkreises ausgedehnt werden.

Schnellbusse

Ein Projekt, auf das viele Bürger schon lange gewartet haben, könnte ebenfalls Wirklichkeit werden: Ein Schnellbus, der zwischen den Bahnhöfen Selb und Marktredwitz verkehrt. Ohne lange Umwege soll er die Strecke mit nur einem einzigen Zwischenstopp am Autohof Thiersheim in rund 20 Minuten bewältigen. „Darüber diskutieren wir seit 2001. Ich begrüße den Bus daher außerordentlich“, sagte der Selber Oberbürgermeister und Kreisrat Ulrich Pötzsch.

Pendler-Mitfahrzentrale

In Ballungsräumen seit langer Zeit üblich, auf dem Land bisher kaum, sind Pendler-Mitfahrzentralen. Hier will der Landkreis eine Plattform bieten, damit möglichst viele Menschen ihr Auto daheim stehen lassen können. Laut Ruhl soll die Mitfahrzentrale in Form einer App und einer Website verwirklicht werden.

Privates Ridepooling

Der E-Mobilität gehört nach Ansicht der Automobil-Experten die Zukunft. Im Landkreis Wunsiedel könnten E-Autos zudem helfen, den sogenannten Individualverkehr zu reduzieren. Lukas Ruhl hält eine Idee aus dem thüringischen Wartburgkreis auch für das Fichtelgebirge für praktikabel: ein privates Ridepooling. „Das Prinzip ist einfach: Bürger mieten sich günstig und langfristig ein E-Auto, verpflichten sich aber, in einem gewissen Umfang auch andere Interessierte auf den Fahrten mitzunehmen.“ Der Mobilitäts-Experte Ruhl kann sich vorstellen, dass die Automobilhersteller die E-Autos vermieten und der Landkreis dafür sorgt, dass die Mieter und die potenziellen Mitfahrer zusammenkommen. Ob dies auch über die Mobilitäts-App möglich ist, will Ruhl noch klären.

Mobilitätsstationen

Eine von den Bürgern während der Arbeit am Entwicklungskonzept des Landkreises entwickelte Idee sind die Mobilitätsstationen. Diese könnten an mehreren zentralen Orten im Landkreis entstehen und vom mietbaren E-Scooter bis zum E-Auto (Car-Sharing) mehrere Angebote vorhalten, damit die Bürger schnell an ihr Ziel kommen. Auch Taxis und Busse sowie die Bahn sollen an die Stationen angedockt sein.

Technische Auslastungsnutzung

Letztlich kann sich Ruhl noch eine technisch gestützte Auslastungsanalyse des ÖPNV vorstellen. „Dadurch können die Nutzer zum Beispiel in Echtzeit sehen, ob noch Sitzplätze oder Stellplätze für den Kinderwagen im Bus frei sind.“ Letztlich werden die dadurch gewonnenen Daten zur passgenauen Planung der Verkehrsströme verwendet.

Noch sind viele der Projekte Zukunftsmusik. Und noch steht überhaupt nicht fest, ob der Bund den Landkreis Wunsiedel überhaupt für die Umsetzung auswählt. Sollte das Konzept des Landkreises die Jury überzeugen, würde reichlich Geld ins Fichtelgebirge fließen. Die Gesamtkosten für das Vorhaben werden aktuell auf 18,2 Millionen Euro geschätzt; rund 80 Prozent davon würde der Bund übernehmen.

Gerd Kögler von der AfD mahnte, dass sich der Landkreis nicht an allen vorüberziehenden Förderprojekten beteiligen solle, da diese am Ende dennoch Geld kosten würden. Hier hakte Landrat Berek ein. „Wir sortieren sehr wohl sehr gewissenhaft, welche Projekte zu uns passen.“

Für Jörg Nürnberger (SPD) hören sich die Projekte zwar sehr gut an, „letztlich erfolgreich sind sie aber erst dann, wenn Bürger wirklich ihr Auto daheim stehen lassen.“

Der Kreistag stimmte dem Projekt einstimmig zu.

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