Religion und Nächstenliebe Macht Glaube glücklicher und großzügiger?

Markus Brauer

In vielen Religionen gehören wie im Christentum Barmherzigkeit und Nächstenliebe zu den essenziellen Verhaltensregeln. Doch wie großzügig sind religiöse Menschen in Wirklichkeit? Das haben Forscher nun für Angehörige verschiedener Religionsgruppen sowie für Atheisten untersucht.

 
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"Geben ist seliger als Nehmen", heißt es in der Bibel (Apostelgeschichte Kapitel 20, Vers 35): Ein reicher Mann verschenkt Brot an Arme (Druck aus dem 16. Jahrhundert). Foto: Imago/Gemini Collection

Das Christentum gilt als Religion der Nächstenliebe, auch wenn seine Praxis oft ganz anders aussah. Dennoch: Wenn es eine biblische Umschreibung für Gott gibt, dann ist es diese: „Gott ist die Liebe“ (1. Johannesbrief 4, 8).

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„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“

Gott ist nicht denkbar ohne Liebe und Gegenliebe. Da er als Schöpfer der Welt nicht auf die Liebe seiner Schöpfung angewiesen ist, muss er selbst schon in sich die vollkommene Liebe tragen.

Die Liebe des göttlichen Vaters wird den Menschen in Jesus Christus offenbart. Er predigt ihnen von Gottes Liebe zu den Menschen und von der Nächstenliebe, die jeder Menschen dem anderen und sich selbst entgegenbringen soll.

Der Legende nach soll der römische Gardeoffizier Martinus von Tours, nachdem er seinen Rock einem Armen gab und der für ihn auf dem Markt neu gekaufte zu kurze Ärmel hatte, von Engeln während einer Messe prächtig gekleidet worden und ein Lichtstrahl vom Himmel auf ihn herabgekommen sein. Foto: Imago/Kharbine-Tapabor

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Brief an die Galater 5, 14). Das ist der Kern der christlichen Botschaft: Der Mensch ist von Gott geliebt und soll seinen Nächsten und sich selbst lieben. Daraus ergab sich ein revolutionäres Menschenbild: Vor Gott sind alle Menschen gleich. Arm oder reich, Frau oder Mann – niemand kann sich einbilden, etwas Besseres zu sein.

Wer ist am freigiebigsten?

Der Glaube eines Menschen beeinflusst seine Moral und Werte – bestimmt, wie er denkt und handelt. In den meisten Kirchen und Glaubensrichtungen spielen Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft eine herausragende Rolle. Aber macht das religiöse Menschen tatsächlich großzügiger gegenüber anderen Menschen? Oder geben sie genauso viel wie Nicht-Religiöse?

Der Glaube eines Menschen beeinflusst seine Moral und Werte – bestimmt, wie er denkt und handelt. Foto: Imago/peopleimages.de

Psychologen um Nathalie Hallin von der schwedischen Universität Linköping sind dieser Frage nachgegangen. Dafür führten sie in drei unabhängigen Studien in verschiedenen Ländern dasselbe Experiment durch: in Schweden, in den USA sowie in Ägypten und dem Libanon. Die Studie ist im Fachmagazin „Judgment and Decision Making“ erschienen.

Drei Studien in Schweden, den USA und Ägypten

An den Experimenten nahmen jeweils rund 400, 700 oder 600 Personen teil. Die Testpersonen erhielten jeweils die Aufgabe, insgesamt sechs Mal eine fiktive Geldmenge zwischen sich selbst und drei hypothetischen Mitmenschen aufzuteilen, ohne eine Gegenleistung zu erhalten.

Kinderhände formen das Wort „Charity“ – Nächstenliebe mit ihren Händen. Foto: Imago/Panthermedia

In jeder der sechs Runden erhielten die Testpersonen unterschiedliche Angaben über ihre hypothetischen Mitmenschen, darunter zu deren religiösen und politischen Einstellungen sowie ihren privaten Vorlieben . Anschließend beantworteten die Studienteilnehmer selbst einen Fragebogen zu diesen Persönlichkeitsaspekten. Die Verhaltensforscher analysierten daraus, welche Angaben die Geberbereitschaft beeinflussten.

Personen gleichen Glaubens bevorzugt

In allen drei Studien zeigte sich: Religiöse, nicht-religiöse und nicht-gläubige Menschen gaben per se im Schnitt gleich viel Geld an Unbekannte ab. Gläubige, Atheisten und Agnostiker waren folglich gleichermaßen großzügig.

Sobald die Testpersonen jedoch Angaben über den Glauben ihrer hypothetischen Mitmenschen erhielten, gaben die religiösen Menschen etwas mehr Geld ab als Agnostiker und Ungläubige, die jeweils ähnlich viel abgaben.

Eine Mutter wirft ein Geldstück in eine Box für die Armensammlung (Druck von 1899). Foto: Imago/Heritage Images

Besonders großzügig waren die religiösen Testpersonen, wenn das Geld an Menschen desselben Glaubens ging: Christen gaben mehr an Christen als an Muslime und Atheisten. Muslime gaben mehr an Muslime als an Christen und Atheisten. Ähnliches zeigte sich jedoch auch für Nicht-Religiöse: Auch sie gaben am meisten Geld an andere Atheisten ab und weniger an Christen oder Muslime.

Mehrere Arten von Großzügigkeit

Die Auswertungen zeigten aber auch Differenzen bei den Religionen auf: In den USA waren die Muslime großzügiger gegenüber ihren Glaubenspartnern als Christen und Atheisten untereinander.

In der Studie im Libanon und Ägypten zeigte sich hingegen kein Religionsunterschied. Dort waren Muslime und Christen gleichermaßen großzügig.

Ein Junge gibt seinen Apfel einem hungrigen Kind (um 1645). Foto: Imago/Heritage Images

Die Forscher schließen aus ihrem Experiment, dass sich die Gruppen- und Glaubenszugehörigkeit stark auf die Großzügigkeit einer Person auswirkt. Die Studie sagt jedoch nichts über die Religionen per se und andere Arten der Hilfsbereitschaft aus. „Du kannst auch großzügig mit Zeit, mit Liebe oder mit Fürsorge sein“, sagt Koautor Hajdi Moche von der Universität Linköping.