Mittelschul-Rektor warnt: „Große Nachfrage lässt die Anforderungen sinken“

Andreas Wuttke Foto: gsch

Um Neuntklässler aus Marktredwitz zu gewinnen, locken Firmen schon mit Vorverträgen.  Sorgen macht Rektor Andreas Wuttke, dass manche Mittelschüler deshalb nicht einmal mehr den Quali machen.

 
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Wie viele Schüler gehen von der Marktredwitzer Mittelschule ab?

Am 22. Juli erhalten 103 Schüler und Schülerinnen ihre Abschlusszeugnisse. Voraussichtlich bestehen 25 den Erfolgreichen, 34 den Qualifizierenden sowie 44 den Mittleren Schulabschluss der Mittelschulen.

Wie sieht es mit Lehrstellen aus?

44 Prozent unserer Neuntklass-Absolventen haben bereits jetzt einen Ausbildungsplatz. Fast die Hälfte unserer Quali-Schüler bleibt uns erhalten, da sie die Möglichkeit wahrnehmen, über die Vorbereitungsklasse oder die Mittlere-Reife-Klasse 10 den Mittleren Schulabschluss draufzusetzen.

Markus Söder hat in Marktredwitz vor Kurzem eine Lanze für die Mittelschüler gebrochen, „denen alle Wege im Berufsleben offenstehen“. Sehen Sie das auch so?

Ja – das ist einerseits das Großartige an unserem dreigliedrigen und zu jeder Zeit durchlässigen Schulsystem, da jeder Schüler gemäß seiner Begabungen und Fähigkeiten zu jedem Zeitpunkt einen passgenauen Abschluss wählen und erhalten kann. Über die weiterführende Mittelschule können Jugendliche nach dem Erwerb des Qualis und der Mittleren Reife weiter an die FOS wechseln, dort ihr Abitur machen und sogar noch ein Studium anschließen.

Andererseits müssen Mädchen und Jungen gar nicht mehr so lange die Schulbank drücken, um heutzutage einen richtig guten und hervorragend bezahlten Beruf in Handwerk, Industrie oder im Pflege- und Dienstleistungssektor zu erhalten. Einen Ausbildungsplatz bekommen aktuell sehr viele Schüler mit einem Qualifizierenden, aber auch schon mit einem Erfolgreichen Abschluss.

In welchen Bereichen haben die Neuntklässler die besten Chancen?

Da der Fachkräftemangel inzwischen überall massiv durchschlägt, betrifft das alle Branchen und Ausbildungsrichtungen. Die Chancen für die Abgänger unserer Mittelschulen sind natürlich in den Fachbereichen Technik sowie Ernährung und Soziales, unseren beiden Schwerpunkt-Fachbereichen im Berufsorientierungszweig, am besten. Viele Firmen suchen ebenso wie soziale Einrichtungen händeringend geeignete Auszubildende und kommen zu uns in die Schule. Deshalb haben wir bereits vor ein paar Jahren begonnen, die Berufsorientierung über das normale Maß hinaus auszubauen und Hand in Hand mit unseren lokalen Partnern aus der Wirtschaft und den Institutionen aufzustellen. Die auf die Mittelschüler ausgerichtete Berufsorientierungsmesse „Job-Spot“ mit Workshop-Charakter oder auch unser spezielles Praktikumskonzept „Ausbilder machen Schule“ (AMS) führt dazu, dass Firmen und Betriebe mit unseren Schülern frühzeitig und intensiv Kontakte knüpfen und sogar Ausbildungs-Vorverträge unterschreiben können.

Schauen Arbeitgeber nur auf die Noten oder was zählt außerdem?

Natürlich spielen die Noten eine wichtige Rolle. Viel wichtiger sind uns aber die Ausbildungsreife und die Schlüsselqualifikationen für die Ausbildung. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Einsatzbereitschaft oder auch Teamfähigkeit sowie Freundlichkeit sind Kompetenzen, an denen wir täglich hart arbeiten und die natürlich auch bei den Ausbildern gefragt sind. Darüber können sich unserer Schüler idealerweise bei dem Praktikumskonzept „Ausbilder machen Schule“ ein gutes Bild machen.

Sorge bereitet mir allerdings, dass aufgrund der großen Nachfrage auch die Anforderungen der Ausbildungsbetriebe an die Abschlüsse unserer Absolventen sinken. Unsere Schüler wissen inzwischen, dass sie manche Ausbildungsplätze auch ohne Quali erhalten, verzichten teilweise auf die besondere Leistungsfeststellung zum Quali und geben sich mit dem Erfolgreichen Abschluss zufrieden.

Ihre Schüler haben zu 72 Prozent Migrationsanteil. Sind Ausländer bei Bewerbungen im Nachteil?

Nein – wenn unsere Jugendlichen mit Migration von ihren sprachlichen Fähigkeiten her so weit sind, dem Unterricht zu folgen, dann erzielen sie mindestens gleich gute Leistungen wie unsere deutschen Schüler. Von den Noten her zählen sie dann sogar zu den Spitzen und sind deshalb mindestens genauso gefragt bei den Ausbildungsbetrieben. Außerdem gab und gibt es ausreichend Förderprogramme für Kinder und Jugendliche mit Migration, um die vielleicht dennoch vorhandenen sprachlichen Defizite und somit Nachteile bei einer Bewerbung auszugleichen. Die Sprache bleibt der Schlüssel zum Erfolg!

Sie haben beim Söder-Besuch den Lehrermangel angesprochen – wo brauchen Sie diese am nötigsten?

Bis zum vergangenen letzten Schuljahr konnten wir mit unserem Personal den Pflichtunterricht abdecken und die teilweise bereits genannten Zusatzangebote für unsere Schüler über den Unterricht hinaus entwickeln und etablieren.

Die beiden Säulen der Mittelschule, die Berufsorientierung und die individuelle Förderung, werden bei uns groß geschrieben und sind besonders für das Weiterkommen unserer Schüler von enormer Bedeutung. Leider zeichnet sich bereits in diesem Schuljahr der dramatische Lehrermangel an den Mittelschulen ab: Zeitweise fehlten uns Lehrkräfte und somit Lehrerstunden in einer Größenordnung von 160 Wochenstunden. Geld zur Schließung der Lücken wäre da gewesen, nur gibt es in ganz Bayern keine verfügbaren Mittelschullehrkräfte mehr.

Welche Folgen hat das?

Erstmals in meiner Schullaufbahn gab es sechs Stundenplanversionen in einem Schuljahr mit notwendigen Einschränkungen – und zwar nicht nur bei Zusatzangeboten, sondern auch beim Pflichtunterricht.

Wenn es nicht gelingt, mit geeigneten Mitteln und einer dringend notwendigen Gleichstellung der bayerischen Lehrkräfte untereinander wieder mehr Mittelschullehrer in Bayern zu gewinnen, setzen wir diese sehr positiven Entwicklungen und Errungenschaften an unseren Mittelschulen, wenn nicht sogar die gesamte Schulart, aufs Spiel. Verlierer wären leider unsere Schüler und in Folge auch deren „Abnehmer“, die Ausbildungsbetriebe.

Das Gespräch führte

Brigitte Gschwendtner

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