Liebesnächte hier, das Verrecken von Zehntausenden dort. Napoleons Russland-Feldzug ist nicht nur ein militärisches Fiasko, sondern eine menschliche Katastrophe. Er ist der Anfang seines Endes, das von ihm geschmiedet europäische Herrschaftssystem zerbricht. Mit fast 600 000 Soldaten aus zwanzig Nationen stößt er im Juni 1812 nach Russland vor. Bayern muss 30 000 Mann stellen, nur wenige werden ihre Heimat wieder sehen. Das Ausweichen der Russen, ihre Taktik der verbrannten Erde und der Wintereinbruch führen zu dramatischen Verlusten der Grande Armeé. Ihr Rückzug über die Beresina ist das bekannteste Beispiel für den Niedergang. In einem an Größe und Eindringlichkeit weltweit einzigartigen Diorama (Richard Scholz, um 1930) ist das Drama vom 27. November 1812 nachgestaltet. Von 70 000 Soldaten und Nachzüglern erreicht nur etwa die Hälfte das andere Ufer. Holländische Pioniere haben die Holzhäuser der Dorfbewohner niedergerissen und aus dem Bauholz leidlich tragfähige Pontonbrücken gebaut. Man weiß, dass jeder der Männer 15 Minuten ins eiskalte Wasser musste, bis er abgelöst wurde, sodass von 400 eingesetzten Pontonieren nur zwanzig überlebten. Alle kämpften ums Überleben: Kürassiere und Berittene stürzen sich in die eisigen Fluten, um das andere Ufer zu erreichen. Die Menschen werden von Fuhrwerken überrollt, zerquetscht, von der Brücke gestoßen, vom Fluss mitgerissen, von russischen Kartätschen zerfetzt. Napoleon selbst hat sich früh mit seiner Garde abgesetzt, um in Schlitten nach Paris aufzubrechen. Dort lässt er dann verkünden: „Die Gesundheit Ihrer Majestät war niemals besser“.