Neuenmarkt/Bayreuth Überlebenskampf auf Raten

Werner Reißaus
Nach so vielen körperlichen und seelischen Qualen, die Hussen Adem Eshetu (rechts) durchlitten hat, sollte nach Überzeugung seines Betreuers Hanns-Georg Schmidt (links) entweder eine sachgerechte Bewertung seines Verfolgungsschicksals mit Anerkennung seiner politischen Verfolgung oder zumindest der Schutz vor Abschiebung aus humanitären Gründen nun endlich ermöglicht werden. Foto: Werner Reißaus Quelle: Unbekannt

Der Äthiopier Hussen Adem Eshetu hat zusehen müssen, wie seine Mutter erschossen wurde. Ein Neuenmarkter will dem schwer Traumatisierten zum Bleiberecht in Deutschland verhelfen.

 
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Neuenmarkt/Bayreuth - Hussen Adem Eshetu, der aus Äthiopien stammt und derzeit in Bayreuth wohnt, droht die Abschiebung in sein Heimatland. Der Neuenmarkter Hanns-Georg Schmidt, der vor seiner Pensionierung als Musiklehrer am Caspar-Vischer-Gymnasium in Kulmbach unterrichtete, hat sich seiner angenommen, betreut ihn bei allen Behördengängen und kämpft darum, ihm die drohende Abschiebung zu ersparen. Beide warten darauf, dass die angekündigte Asyl-Folgeverhandlung am Verwaltungsgericht Bayreuth in Kürze stattfindet, bei der Klarheit geschaffen wird, ob er ein dauerndes Bleiberecht in der Bundesrepublik erhalten wird.

Gerade jetzt nach den schweren Krawallen in Amerika ist es in den Augen von Hanns-Georg Schmidt umso wichtiger, dass um Vertrauen und Respekt für afrikanische Geflüchtete geworben werden muss: "Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd sollten wir dafür sensibilisiert sein und uns bewusst machen, dass es junge Einwanderer gibt, die komplett anders sind als in der Silvesternacht 2015/16 und komplett anders als einige in der Krawallnacht vom 23. Juni dieses Jahres in Stuttgart, und die Alkoholmissbrauch, Drogen und Gewalt verabscheuen, vielmehr einfach nur um ihr Überleben kämpfen und nach erfahrener Hilfe zu Helfern für andere werden."

Der 32-jährige Hussen Adem Eshetu hat friedlich gegen politische und religiös diskriminierende Repressionen der Regierung Meles Zenawi in Äthiopien (Regierungszeit 1995-2012) demonstriert. Aber auch nach Zenawis Tod kommt das Land nicht zur Ruhe und so wurde zum Beispiel am 25. Oktober 2019 berichtet, dass selbst unter Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed bei ethnischen Unruhen 67 Menschen getötet und 200 verletzt wurden.

Zurück zum Fall Eshetu, den sein Neuenmarkter Betreuer folgendermaßen beschreibt: Wegen der Teilnahme an friedlichen Demonstrationen gegen die diktatorischen Verhaltensweisen Zenawis drangen am 12. März 2011 fünf bis sechs paramilitärische Kräfte in die Wohnung von Hussen Adem Eshetu ein und zwar in einem Augenblick, in dem er mit seiner Mutter dort allein war. Sein Vater und seine Geschwister waren zu dem Zeitpunkt nicht anwesend. Seine Mutter versuchte ihn vor der Inhaftierung zu schützen, wurde dabei überwältigt und mit zwei Schüssen vor seinen eigenen Augen getötet. Hussen brach zusammen und fand sich, als er wieder zu Bewusstsein kam, in einem unterirdischen Gefängnis in Dunkelheit und einer extrem beengten Position wieder vor.

In diesem und anderen ähnlichen Gefängnissen - unter anderem in dem berüchtigten Makelawi-Kerker - wurde der junge Äthiopier drei Jahre lang kontinuierlich gedemütigt, körperlich misshandelt und sexuell gefoltert - und das, wie Hanns-Georg Schmidt betonte, ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt, ohne Haftbefehl, ohne Verteidiger und Gerichtsurteil. Das war in den Jahren 2011 bis 2014.

Nur durch einen glücklichen Zufall gelang es ihm, nach diesem dreijährigen fürchterlichen Martyrium, in einem unbewachten nächtlichen Augenblick auf dem Bauch aus seiner Zelle zu kriechen, wegzulaufen und sich Hilfe zu holen. Sein Vater ermöglichte ihm die Flucht - zunächst durch Nordafrika. Nach einer extrem gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer gelangte er nach Italien und von da aus bis nach Schweden. Er war in dieser Zeit zutiefst traumatisiert und verwirrt. Das hatte traumabedingt zur Folge, dass es ihm nicht gelang, den schwedischen Behörden gegenüber das Erlebte überhaupt nur annähernd vollständig zu schildern. So hat er sich anfänglich noch nicht einmal getraut, von der Tatsache seiner Folterhaft zu berichten. Er wurde als Asylbewerber abgelehnt und wanderte mit der von Schweden erhaltenen Erlaubnis, einen anderen aufnahmebereiten Staat aufzusuchen, nach Deutschland weiter.

Als Hussen Adem Eshetu in Deutschland seinen Fall darstellte, warf man ihm dann vor, ihn nicht bereits in Schweden vollständig erzählt zu haben, und lehnte ihn erneut ab. Hanns-Georg Schmidt weiter: "Das Gefühl, nach dem dreijährigen Martyrium in Dunkelhaft hier in Europa unablässig erneut Ablehnung erfahren zu müssen, quälte ihn so sehr, dass er sich in psychiatrische Behandlung und Klinikaufenthalte begeben musste. Erst einem seit 2018 aktiven, ihn intensiv begleitenden Helferkreis ist es gelungen, den Mann ein wenig zu stabilisieren. Ohne dieses Helfernetzwerk wäre er nicht überlebensfähig."

Das Herausgerissenwerden aus diesem Netzwerk durch eine Rückkehr in das Land seiner Qualen würde der hochsensible Äthiopier nach Worten Schmidts nicht verkraften und nicht überleben. "Wir hoffen nun auf eine positive Entscheidung des Bayreuther Verwaltungsgerichts im Blick auf seinen Asylfolgeantrag. Denn da wir als Deutsche die Ressourcen haben, solche hilfsbedürftigen Menschen, die selber zu Helfern anderer werden, zu integrieren, erwarte ich von unseren Gerichten und Behörden, dass dies auch ermöglicht wird. Für solche Menschen und nicht für Gewalttäter sind wir berufen ein ,Vaterland‘, eine Heimat, zu sein, mit gegenseitigem menschlichem Gewinn."

Hussen Adem Eshetu ist nach Worten Schmidts inzwischen in Bayreuth gut integriert, arbeitet - mangels des ihm auferlegten Erwerbstätigkeitsverbots im Augenblick nur ehrenamtlich - als Muslim in einem christlichen Sozialcafé mit und wird dabei durch das Netzwerk seiner Helfer unterstützt.

Hanns-Georg Schmidt weiter: "Aus intensiver, inzwischen mehrjähriger Kenntnis seiner Person kann ich als gerichtlich bestellter Betreuer an Eides statt versichern, dass die ihm zur Last gelegten Unterschiede seiner Aussagen, die seine bisherige Anerkennung als Asylsuchender verhindert haben, ausschließlich der extremen Traumatisierung eines ganz und gar nicht abgefeimten, vielmehr total hilflosen und hilfsbedürftigen Menschen geschuldet sind, der sich infolge der erlittenen Misshandlungen und der dadurch verursachten Todesangst in einem Dauernotfallmodus befindet und mühsam um sein Überleben kämpft."

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