Oberfränkisches Wahlforum unserer Zeitung Vom Seitenhieb bis zur Attacke

und Alisa Schrauth

Die Wahl am 26. September stellt die Weichen in Deutschland neu. Langzeit-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) tritt ab und laut aktuellen Umfragen ist es mehr als unsicher, dass der Kandidat der Union ihre Nachfolge antreten wird. Auch in der Region wird hart gerungen. Wer schafft es per Direktmandat in den Bundestag?

 
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Marcel Auermann, Gesamtchefredakteur der Verlagsgruppe HCSB, moderierte die teils hitzige Debatte und hatte gut zu tun, sie in geordneten Bahnen zu halten. Foto: Florian Miedl

Hof - Der Festsaal der Freiheitshalle in Hof ist leer, kein Publikum – und dennoch stehen sie in der Mitte des Raums im grellen Licht der auf sie ausgerichteten Scheinwerfer: Hans-Peter Friedrich (CSU, Wahlkreis Hof/Wunsiedel), Jörg Nürnberger (SPD, Hof/Wunsiedel), Thomas Hacker (FDP, Bayreuth), Lisa Badum (Grüne, Bamberg/Forchheim), Tobias Matthias Peterka (AfD, Bayreuth) und Klaus Ernst (Linke, Schweinfurt). Sechs Direktkandidaten aus der Region stellten sich am Donnerstagabend beim TV-Talk „Konkret – Oberfranken hat die Wahl“ den Fragen der Moderatoren Marcel Auermann, Gesamtchefredakteur der Verlagsgruppe HCSB, und Andreas Heuberger, Mitglied der Redaktionsleitung des regionalen Fernsehsenders TV Oberfranken.

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Klappe fällt, Spots an, Aufnahme startet: Es werden 90 inhaltsreiche Minuten sein, in denen die Kandidaten ihre Vorstellungen und Ideen zu den Themen Mobilität, Klimaschutz, Corona-Politik und Steuern äußern. Hans-Peter Friedrich ist das politische Schwergewicht in der Runde. Als Direktkandidat der CSU im Wahlkreis Hof/Wunsiedel strebt er ein Mandat in Berlin für die mittlerweile siebte Legislaturperiode an. Seit 1998 ist der 64-Jährige Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Zweimal bekleidete er Ämter im Kabinett Merkel, von 2011 bis 2013 als Bundesinnenminister, direkt im Anschluss für zwei Monate als Landwirtschaftsminister – bis er wegen der Affäre um Sebastian Edathy zurücktrat. Friedrich hatte als Innenminister vertrauliche Informationen aus Ermittlungen gegen den SPD-Politiker weitergegeben. Politisch zu Fall gebracht hat ihn das nicht.

Heute, acht Jahre später, steht der gebürtige Nailaer im Festsaal der Hofer Freiheitshalle ruhig vor den Kameras, geht sorgsam auf die Fragen der Moderatoren ein. In den vergangenen vier Jahren als Vizepräsident des Deutschen Bundestages fast staatsmännisch gereift, gibt er sich als standhafter Vertreter konservativer Politik. „Sie haben es nur auf das Vermögen des Mittelstands abgesehen. Das ist ein großer Schaden für die Wirtschaft“, kontert er etwa die Forderung von Linken-Kandidat Klaus Ernst nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes, der Erbschaftsteuer und einer Vermögensabgabe. Und die Grünen sind für ihn eine „Verbotspartei“, die – gerade mit ihren Vorstellungen in der Klimapolitik – „die Freiheiten der Bürger beschneiden“. Friedrich will Anreize für Investitionen setzen, und spricht sich deshalb gemäß Unions-Wahlprogramm gegen Steuererhöhungen aus.

Und Unionsmann Friedrich manifestiert auch gerne eigene Positionen, von der mehrheitlichen Parteilinie abweichend. Erst kürzlich kritisierte er in der Corona-Pandemie Beschlüsse und die Kompetenzausweitung der Ministerpräsidenten-Konferenz und des Bundeskanzleramtes. Das Parlament müsse sich „seine Entscheidungsrechte wieder zurückholen“. Am Donnerstagabend klang dies etwas milder: „In der jetzigen Phase der Pandemie muss man bei einschränkenden Maßnahmen genau differenzieren. Da bin ich für viel Kreativität.“

Friedrich, der konservative Fels in der Brandung? Zumindest der unmittelbare Konkurrent, Jörg Nürnberger, SPD-Direktkandidat im Wahlkreis Hof/Wunsiedel, könnte erneut an ihm zerschellen. Zwar kann der 54-jährige Jurist auf der Welle der guten Umfragewerte für seine Partei surfen, doch dass ihn die Wähler in seinem zweiten Anlauf an Friedrich vorbeigleiten lassen, ist kaum realistisch. Ausgeschlossen ist hingegen nicht mehr völlig, dass Nürnberger ein gutes Ergebnis der Bayern-SPD von Listenplatz 19 in den Bundestag spült.

Nürnberger möchte mit dem Versprechen von mehr Steuergerechtigkeit und einem einfacheren Steuersystem punkten. Warum dies nicht schon in den vergangenen vier Jahren unter SPD-Regierungsbeteiligungen geschehen sei, hakt Moderator Marcel Auermann nach. Nürnberger räumt ein: „Wir haben viele Projekte angestoßen, aber da hat es zu wenig Priorität gegeben.“ Dem eigentlich dafür zuständigen Amtsträger, Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, bescheinigt er einen hervorragenden Wahlkampf. „Er hat eben eine Partei, die hinter ihm steht.“ Diesen kleinen Seitenhieb auf Union und Grüne kann sich Nürnberger, der sich während der gesamten Diskussion auf die Darstellung eigener Ideen konzentriert, nicht verkneifen. „Nach jetzigen Umfragewerten haben wir tatsächlich die Chance, die Regierung zu bilden.“

Die Frage einer Regierungsbeteiligung stellt sich für niemanden in der Runde weniger als für AfD-Mann Tobias Matthias Peterka, Direktkandidat seiner Partei im Wahlkreis Bayreuth. „Wir sind die einzig wahre Opposition im Bundestag“, versucht er das Alleinstellungsmerkmal seiner Fraktion, der er seit vier Jahren angehört, zu beschreiben. Auch im übrigen Verlauf der Debatte gibt Peterka den Freigeist. Beispiel Corona: Die Bundesregierung habe die Pandemie panisch überbewertet und durch zwei Lockdowns überreagiert. Persönlich spürt er nun die Folgen: „Ich bin nicht geimpft, ich lasse mich testen. Und kommt 2G, dann werde ich ausgesperrt.“

Nach Äußerungen wie dieser wird es lautstark. Lisa Badum ist die einzige, die während der Debatte mehrfach höflich um Gehör fragt. „Darf ich was sagen?“ oder „Dazu will ich gerne was sagen“ kommt aus dem Mund der grünen Abgeordneten. Sie lässt die Männer im Raum teilweise ziemlich ungehobelt aussehen. Sie verlässt nach dem Schlagabtausch auch als Erste den Veranstaltungsort: Kramt ihre Utensilien rasch in den Jutebeutel und huscht zum Carsharing-Auto.

Zuvor wendet sich die Grüne auch direkt mit Fragen an die anderen Kandidaten, eben an Peterka: „Stimmt es, dass Mitglieder aus ihrer Partei lebensgefährlich an Corona erkrankt sind?“ Zu hören bekommt sie: „Ja, wir leugnen das auch nicht, aber es wurde typisch deutsch überreagiert.“

Doch noch lieber als mit der AfD duelliert sie sich mit der CSU. Die erste Spitze setzt sie bei der Elektrifizierung der Bahn: „Auf der Strecke Nürnberg – Marktredwitz fahren noch Dieselloks – das ist ein Beispiel, wie es nicht geht“, sagt sie. Die Deutsche Bahn könne elektrifizieren, doch „es hängt im Verkehrsministerium.“ Und das ist nun mal Unionsgebiet. Auch bei den Luftfiltern zeigt sie rhetorisch auf die Union – die hätte ihrer Meinung nach den Weg für die Luftfilter zu spät geebnet. „Schule beginnt nächste Woche“, erklärt Friedrich.

Thomas Hacker von der FDP bleibt die ganze Zeit eher unscheinbar, redet aber langatmig. Selbst seine Abgeordneten-Kollegen scheinen Mühe zu haben, ihm das durchgehen zu lassen – Klaus Ernst von den Linken unterbricht ihn mehr als einmal. Nur Hans-Peter Friedrich kuschelt gerne mit der FDP: Er nickt fleißig, wenn Hacker, der direkt neben ihm steht, spricht. Was Thomas Hacker will? Sich raushalten? Das könnte man aus seinen Aussagen lesen: „Jeder muss für sich selber entscheiden“, „Jeder macht, was er kann“ oder „Wir müssen mit Corona leben lernen.“ Beim Thema Steuern ist der FDP-Mann prägnanter. Das Projekt der vorgefertigten Steuererklärung ist gescheitert – sein Lösungsansatz bleibt vage. Aber:„Die technischen Voraussetzungen sind da.“

Ganz anders der Vertreter der Linken: Klaus Ernst ist angriffslustig – und diskutiert teilweise so leidenschaftlich, dass sich seine Stimme überschlägt. Die Akustik der leeren Halle kommt an ihre Grenzen. Inhaltlich bleibt er der Partei-Linie treu: Er will zum Beispiel die Patente des Corona-Impfstoffs freigeben – „Ich bin für geistiges Eigentum, aber nicht wenn der Profit über die Gesundheit geht.“ Oder aber beim Thema Mobilität: Die soll nämlich für alle attraktiver werden, findet er. Und anders wie die FDP will sich die Linke eben nicht raushalten: Es müssen politische Rahmenbedingungen her. Auch beim Thema Steuern kriegt er sich mit dem gegenüberstehenden FDP-Mann Hacker in die Wolle: „Wir müssen oben belasten und unten entlasten!“ Auf feurige Gegenwehr wartet er vergeblich.