„Orange Days“ Gewalt ist mehr als Schläge

Frauen, die Gewalt erfahren, bekommen Hilfe in einem Frauenhaus. Foto: dpa/Peter Steffen

Der Frauennotruf in Hof hat derzeit mehr zu tun als in den vergangenen Jahren. Die Aktionstage „Orange Days“ weisen auf das Thema hin.

 
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Zu Hause, am Arbeitsplatz, im Netz oder auf offener Straße: Jede dritte Frau wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt. Hilfe bekommen die Frauen in der Region beim Frauennotruf. Rund 200 Betroffene im Jahr melden sich in der Einrichtung der Diakonie Hochfranken. In den vergangenen zwei Jahren sind die Zahlen aber deutlich gestiegen, sagen die Mitarbeiterinnen Anja Kuhnlein und Sandra Hanns. Während sie im Jahr 2020 insgesamt 181 Fälle zu betreuen hatten, waren es im Jahr darauf 225. Im laufenden Jahr sind es bisher 194.

Die höheren Zahlen seien aber nicht unbedingt darauf zurückzuführen, dass mehr Gewalt passiert. Vielmehr gehen die Sozialpädagoginnen davon aus, dass das Thema intensiver in der Öffentlichkeit diskutiert wird und Betroffene öfter Hilfe suchen. Ein weiterer Grund ist, dass nach dem Wegfall der Corona-Beschränkungen diejenigen sich zu Wort melden, die monatelang mit ihren Peinigern auf engstem Raum eingesperrt waren.

Der Schwerpunkt der Arbeit beim Frauennotruf ist häusliche Gewalt: Beleidigungen, Bedrohungen, soziale und finanzielle Isolation. „Gewalt entsteht nicht von heute auf morgen. Das ist ein dynamischer Prozess“, sagt Kuhnlein. Deshalb sei es für viele Frauen schwer, diese Situation zu verlassen. Viele hoffen auf Besserung oder haben Gefühle für den Täter. „Wir versuchen den Frauen zu vermitteln, dass sich die Lage zuspitzen kann, dass psychische Gewalt oft in physische Gewalt umschlagen kann.“

Wann Gewalt beginnt, ist schwierig auszumachen. „Wenn man das Gefühl hat, es eskaliert, wenn man sich unter Druck gesetzt fühlt“, fasst Sandra Hanns zusammen. So fängt sexuelle Gewalt nicht erst mit einer Vergewaltigung an, sondern mit psychischer Unterdrückung. „Dabei gibt es einen Unterschied zwischen dem Gefühl, dass man einfach keine Lust auf Sex hat und es dem Partner zuliebe trotzdem tut; und dem Gefühl, dass man nachgibt, weil man glaubt, dass ansonsten die Situation eskaliert“, so Hanns.

Auch wenn es der Name „Frauennotruf“ suggeriert, werden die Mitarbeiterinnen nicht im Notfall tätig. Wenn zugeschlagen wird, kommt die Polizei. Der Frauennotruf berät die Frauen, erarbeitet mit ihnen gemeinsam eine Perspektive für das weitere Leben, schaltet weitere Institutionen ein, wie die Migrations- oder die Familienberatung. Wer sich bedroht fühlt, kann in der „Schutzwohnung“ unterkommen. Ist diese belegt, steht Betroffenen das Frauenhaus in Selb offen.

Neben Anja Kuhnlein und Sandra Hanns sind noch zwei weitere Hauptamtliche beim Frauennotruf tätig. Die Abendstunden und die Wochenenden decken aber Ehrenamtliche ab. Für sie werden die Dienstpläne flexibel gestaltet und sie bekommen eine Rufumleitung auf das Handy.

Um Frauen in der Region besseren Schutz zu bieten und um ihnen in Notsituationen umfassender helfen zu können, wurde im vergangenen Jahr ein „Gewaltschutzkonzept“ für Hochfranken auf den Weg gebracht. Kooperationspartner sind die Diakonie, die Awo sowie die Landkreise Wunsiedel, Hof und die Stadt Hof. Zu den Hilfen gehören neben dem Frauennotruf und dem Frauenhaus in Selb auch eine Interventionsstelle und das Awo-Angebot „Second-Stage“.

Die Interventionsstelle, ein Bindeglied zwischen der Polizei, dem Frauennotruf und dem Frauenhaus, betreut Anja Kuhnlein. Im vergangenen Jahr hatte sie 30 Fälle zu betreuen, in diesem Jahr waren es bisher 40. Da das Angebot noch recht neu ist, geht sie davon aus, dass diese Zahlen noch weiter steigen werden.

Auch das Frauenhaus in Selb ist ausgelastet. Es wird gerade neu gebaut und soll im kommenden Jahr fertig sein. Da der Aufenthalt in dieser Einrichtung auf maximal zehn Wochen begrenzt ist, können die Frauen danach das Übergangs-Angebot „Second Stage“-Angebot nutzen, wenn sie etwa nicht so schnell eine eigene Wohnung finden können.

Die Mitarbeiterinnen begleiten Menschen, die in schlimmen Situationen sind. Was macht es mit ihnen, dauerhaft Leid ausgesetzt zu sein? „Man erfährt nicht nur Negatives“, sagt Kuhnlein. „Wir begleiten die Frauen in ein neues Leben. Sie entwickeln sich und entdecken ihre Stärken. Wir gehen ein Stück dieses Weges mit.“

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