Pfarrer beschreibt Untaten Kulmbacher Dekan unterstützte Juden-Hetzer

Von Wolfgang Schoberth
Walter Höchstädter: Der Kulmbacher Gemeindepfarrer nach seiner Einberufung zur Wehrmacht 1939. Für den jüdischen Historiker Daniel Jonah Goldhagen ist er ein „strahlendes Licht“ im kirchenpolitischen Dunkel der NS-Zeit. Foto: Schoberth

Pfarrer Walter Höchstädter hat die Nazi-Zeit in Kulmbach erlebt. In seinen Lebenserinnerungen hält er antisemitisches Denken und Handeln schonungslos fest. Ein Beitrag zum Gedenkjahr „1700 Jahre Juden in Deutschland“.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Kulmbach - In dem Standardwerk „Hitlers willige Vollstrecker“ führt Daniel Jonah Goldhagen den Nachweis, dass keineswegs nur NSDAP-Mitglieder oder SS-Angehörige bereit waren, die Juden zu schikanieren und zu ermorden, sondern überwiegend waren es normale Bürger. Auch die christlichen Kirchen spricht er nicht frei von Schuld. Selbst bei den regimekritischen „Bekennenden Christen“ ist antisemitisches Denken anzutreffen. Als einen der wenigen, der gegen den „Judenwahn“ in der eigenen Kirche aufgetreten ist, nennt der jüdische Historiker Pfarrer Walter Höchstädter (1907 bis 1994).

Der gebürtiger Nürnberger kommt am 1. Mai 1935 nach Kulmbach, um seine erste Pfarrstelle anzutreten. 27 Jahre ist er, als er in das Pfarrhaus am Kirchwehr einzieht und bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht bleibt. Kulmbach wird für Höchstädter zur Wahlheimat, da er hier seine spätere Frau Maria Federschmidt kennenlernt und seinen Fronturlaub in der Stadt verbringt. Wie er die Nazi-Zeit erlebt hat, beschreibt er in seinen Lebenserinnerungen „Durch den Strudel der Zeiten geführt“, die er 1983 veröffentlicht.

Gespaltene Pfarrerschaft

„Als ich mich nach Kulmbach meldete“, so heißt es eingangs, „hatte ich keine Ahnung, dass die Bevölkerung der Gegend in ihrer Mehrzahl pronazistisch war, vor allem im Kreis der Bauern und des Kleinbürgertums; aber auch die Arbeiter, ehemalige Sozialdemokraten, die durch die intensive Propaganda davon überzeugt worden waren, dass der Nationalsozialismus den wahren Sozialismus gebracht habe.“ Die Kulmbacher Pfarrerschaft erlebt er gespalten. Zu den Hitlergegnern, die sich weder in Predigt noch Gemeindedienst den Machthabern angepasst hätten, zählt er Wilhelm Schmidt, Gottfried Federschmidt und Alfred Rieß. Auf der anderen Seite steht der Neudrossenfelder Gemeindepfarrer Friedrich Hanemann, aktives Mitglied der NSDAP, der nach der Machtübernahme zum Dekan ernannt wird. Er bleibt bis 1935 in Kulmbach, bis er von dem pronazistischen Landesbischof Hans Meiser zum Oberkirchenrat in der Kirchenleitung in München ernannt wird. Hanemann unterstützt die „Deutschen Christen“, die unter dem eigens aus Thüringen angereisten Pfarrer Siegfried Leffler (ein gebürtiger Azendorfer) alle vierzehn Tage ihre völkischen Kultfeiern in der Spitalkirche abhalten.

Gestapo-Verhöre von Geistlichen

In seinen Erinnerungen beschreibt Höchstädter, wie die Nazis gegen regimekritische Pfarrer in Kulmbach vorgegangen sind. In den Gottesdiensten sitzen Spitzel, die mitstenografieren, der Männerkreis wird von der Gestapo und der Schutzpolizei fortlaufend überwacht. Im August 1937 wird Höchstädter in die Polizeiwache im Rathaus zitiert, weil er in einer Predigt behauptet haben soll, Martin Niemöller sei ein Märtyrer, der wegen seines Glaubens im KZ säße. Besonders massiv gehen die Machthaber gegen Höchstädters Schwiegervater Gottfried Federschmidt vor, der Hanemann als Dekan nachfolgt. Als dieser Anfang April 1938 zu einer Pfarrkonferenz nach Kulmbach einlädt, kommt es zum Eklat: Der suspendierte Penzberger Pfarrer Karl Steinbauer, offener Hitlergegner und Mitglied der Bekennenden Kirche, wird mitten im Vortrag von der Politischen Polizei abgeführt und für zwei Tage im Fronfestenturm in „Schutzhaft“ genommen. Nach Verhören durch die Gestapo Nürnberg-Fürth wird er eine Woche lang ins Bamberger Gefängnis gesteckt.

Entsetzt über den Hass

In seinen „Erinnerungen“ legt Höchstädter schonungslos bloß, zu welchen Gemeinheiten eine christliche Gesellschaft fähig ist: So ist er an der Oberen Schule Zeuge, wie der Rektor am Tag nach der „Reichskristallnacht“ (10. November 1938) den zehnjährigen Albert Davidsohn zum Gaudium seiner Mitschüler als typisches Judenkind durch alle Stockwerke die Schule führt. Und er bekommt am 13. November 1938 nach einem Gottesdienst am Sonntagsnachmittag in der Nikolaikirche aus einiger Entfernung mit, wie eine verheiratete junge Frau wegen angeblicher „Rassenschande“ mit dem jüdischen Viehhändler Karl Strauß von einer johlenden Menge mit einem Schmähschild, Trommeln und Fanfarenklängen durch die Innenstadt getrieben wird.

Juden (ver)hungern lassen

Wie sehr sich Antisemitismus aus Neidkomplexen des Kleinbürgertums speist, verdeutlicht Höchstädter an einem Erlebnis seines Frontkameraden Friedrich Rimek, eines Kulmbachers (nach dem Krieg viele Jahre Religionspädagoge am MGF-Gymnasium), der der gleichen Einheit in Dnjepropetrowsk angehört: Während seines Heimaturlaubs steht Rimek nach Lebensmittelkarten vor dem Kulmbacher Rathaus an. Dabei wird er Zeuge eines Gesprächs zweier Frauen, die meinten, man solle einen Juden wie den Brauereidirektor Prager doch hungern lassen. Gemeint ist Heinrich Prager, der 1938 aus dem Vorstand der Reichelbräu entfernt wird und dem die Deportation in ein Arbeitslager droht. Rimek schaltet sich mit der Bemerkung ein, dass jeder Mensch ein Recht auf Nahrung habe, auch ein Jude. Wenige Wochen später – Rimek ist längst wieder bei seiner Einheit in Russland – wird er zu seinem Batteriechef zitiert. Er sei in Kulmbach von der Angestellten des Einwohnermeldeamts wegen „staatsfeindlicher Äußerungen“ angezeigt worden. Mit Mühe gelingt es seinem Vorgesetzten, die Sache niederzuschlagen. Die Denunziantin, so merkt Höchstädter in seinen Erinnerungen an, habe die Spruchkammer-Verhandlung unbeschadet überstanden und sei bis zu ihrer Pensionierung bei der Stadt beschäftigt gewesen.

Flammende Kirchenkritik

Die Erfahrungen in Kulmbach werden für Höchstädter zu einem Wendepunkt seines Lebens. Er intensiviert seine Verbindungen zu den Pfarrbruderschaften in der Bekennenden Kirche. 1941 wird er als Lazarettgeistlicher eingesetzt, doch sein Verhältnis zur eigenen Kirche wird immer kritischer. Massiv legt er sich mit dem Bayerischen Landesbischof Meiser an, dessen Antisemitismus er anprangert. Der Höhepunkt von Höchstädters flammender Kirchenkritik ist ein Brief, den er 1944 in Frankreich verfasst, heimlich druckt und mit der Feldpost an die Soldaten verschickt: „Der Judenwahn, der schon im Mittelalter furchtbar getobt hatte, ist heute in sein akutes Stadium getreten. Da hat die Kirche, die Gemeinde Jesu Christi, zu bekennen. Wenn sie es nicht tut, dann hat sie versagt, genauso wie damals zur Zeit der Hexenverfolgungen. Das Blut von Millionen hingemordeter Juden, von Männern, Frauen und Kindern schreit heute gen Himmel. Da darf die Kirche nicht schweigen. Wehe ihr, wenn sie durch Schweigen oder durch allerlei zweifelhafte Ausflüchte an den Hassausbrüchen der Welt mitschuldig wird!“Die offizielle Kirche wird sich erst Monate nach Kriegsende, im Oktober 1945 in Stuttgart, zu einer Schulderklärung durchringen.

Bilder