Pflege zuhause Pflegeberatung bietet Orientierung

Bettina Hartmann

Pflegende Angehörige unterschätzen oft die Belastungen, die auf sie zukommen. Viele wissen laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag der AOK Baden-Württemberg auch gar nicht, welche Beratungsangebote es gibt.

 
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  Foto: ERGO Group/DKV

Deutschland altert. Jeder Zweite ist inzwischen über 45, jeder Fünfte über 66. Im Jahr 2035 werden laut Prognose des Statistischen Bundesamts sogar rund 20 Millionen Menschen älter als 66 sein – mit entsprechenden Folgen, etwa im Bereich der Pflege. Bereits im Dezember 2021 waren in Deutschland fast fünf Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes – Tendenz steigend.

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Vier von fünf Pflegebedürftigen in Deutschland werden daheim versorgt, meist von Angehörigen, etwa vom Ehepartner, Lebensgefährten, von Geschwistern oder auch Freunden. Sie leisten die notwendigen Aufgaben zum allergrößten Teil unbezahlt und zusätzlich zur eigentlichen Arbeit. Prognosen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) in Berlin gehen davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2050 auf 6,5 Millionen ansteigen wird.

Verbände: Es mangelt an Unterstützung

Doch nach Ansicht von Claudia Moll (SPD), der Pflegebeauftragten der Bundesregierung, ist die häusliche Pflege schon jetzt am Limit: „Es rächt sich, dass sie jahrelang kaum Verbesserungen erfahren hat.“ Und auch weiter mangelt es laut zahlreichen Verbänden an Unterstützung. So gibt es für die eigentlich im Koalitionsvertrag festgehaltene Erhöhung des Pflegegelds nach Angaben des Gesundheitsministeriums bislang keine konkreten Pläne.

Der Pflegenotstand ist somit kein Schlagwort – sondern harte Realität. Bis zum Jahr 2040 werden zudem mehr als 320 000 stationäre Pflegeplätze in Deutschland fehlen, haben Forscher des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung errechnet.

Umfrage: Angehörige wollen selbst pflegen

Zwar sind laut einer aktuellen Forsa-Umfrage der AOK Baden-Württemberg knapp zwei Drittel der Bevölkerung im Land grundsätzlich bereit dazu, ihnen nahe stehende Personen zu Hause zu pflegen, wenn der Ernstfall eintritt – 24 Prozent „auf jeden Fall“, 39 Prozent „eher ja“. Das entspricht laut DAK-Pflegereport aus dem Jahr 2021 in etwa auch den bundesweiten Zahlen.

Demgegenüber steht jedoch, dass Menschen, die tatsächlich pflegen, die Aufgabe als große Herausforderung sehen. Mehr als die Hälfte fühlt sich im Alltag nicht nur mit vielfältigen Problemen konfrontiert, sondern sogar überlastet. 22,3 Prozent der Angehörigen in Deutschland geben an, dass sie mehr als 40 Stunden pro Woche für die Pflege ihrer Angehörigen aufbringen. Das entspricht einer Vollzeitbeschäftigung. Die Arbeit wird aber in den meisten Fällen obendrauf geleistet.

Die Probleme beginnen bereits beim Stellen von Anträgen: Pflegebedürftige wie (angehende) pflegende Angehörige stoßen dabei auf bürokratische Hürden. Doch es gibt auch Hilfsangebote. Allerdings wissen darüber laut der AOK-Umfrage viele Menschen nicht Bescheid – und nehmen sie daher nicht in Anspruch. „Grundsätzlich geht es darum, dass Pflegende mehr Unterstützung erhalten“, fordert daher Claudia Moll. Ein erster Baustein ist die Beratung. Auf ihrer Homepage (www.pflegebevollmaechtigte.de) sind daher Anlaufstellen wie der Medizinische Dienst, verschiedene Pflegestützpunkte oder auch die Pflegekassen bei den jeweiligen Krankenkassen aufgeführt.

Pflege ist für viele eine Herausforderung

Bei der AOK etwa beraten Sozialpädagogen in Sachen Pflege. „Es sind unter anderem Anträge auszufüllen, Leistungen zu beantragen und zu koordinieren“, sagt Elisabeth Reinhardt, Fachverantwortliche für die Pflegeberatung der AOK. Die Hauptaufgabe der Pflegeberatung sieht sie darin, Unterstützung und Begleitung anzubieten, Orientierung zu geben: „Viele denken erst mal: Oh je, ist das viel, da finde ich mich nie zurecht.“

Individuelle Lösungen suchen

Jeder Mensch habe seine „eine eigene Geschichte, bei jedem sind die Rahmenbedingungen anders“, sagt die Sozialpädagogin Reinhardt. Man brauche daher individuelle Lösungen. Ein Fokus müsse dabei auf den Angehörigen liegen: Wie gehen sie mit der Erkrankung oder Bedürftigkeit der betroffenen Person um? Sind sie in die Pflege involviert? Müssen auch sie entlastet werden?

Oft sei der Wunsch vorhanden, die Pflege zu übernehmen. Schon allein, weil die wenigsten Pflegebedürftigen in ein Heim möchten. Doch es werde nicht bedacht, welche Belastungen häufig auftreten und welche Voraussetzungen für die häusliche Pflege nötig sind – etwa entsprechende Veränderungen im Wohnumfeld, Schulungen zum Thema Pflege. Immer wieder werde auch unterschätzt, wie psychisch und physisch anstrengend Pflege sein kann: „Damit sich die Angehörigen nicht überfordern, klären wir gemeinsam, wie die aktuelle Situation ist – und wie wir Entlastung schaffen können“, so Reinhardt. Umso wichtiger wäre es, dass man sich mit dem Thema rechtzeitig auseinandersetzt. Trotzdem ist Pflege, auch die eigene, teils noch immer ein Tabuthema. Laut der Forsa-Umfrage haben 40 Prozent noch gar nicht kommuniziert, wie und wo sie im Fall der Fälle versorgt werden möchten. Zwei Drittel der Befragten hat zudem keine Pflegezusatzversicherung – auch hier gibt es somit Nachholbedarf.

Rechtzeitig vorsorgen