Die Wasserrahmenrichtlinie der EU sieht inzwischen eine weitere Reinigungsstufe vor, auch in Deutschland werden immer mehr 4. Klärstufen eingebaut. Sie halten Spurenstoffe etwa durch sogenannte Ozonierung oder Aktivkohlefiltration zurück. "Viele Wirkstoffe wie Röntgenkontrastmittel rauschen aber auch da einfach so durch", sagt Maack vom Uba. Diskutiert werden deshalb verschiedene weitere Maßnahmen, etwa eine Umweltverträglichkeits-Ampel als Zusatzinfo für Fachpersonal. "Wirkstoffe wie Diclofenac sollten nicht mehr rezeptfrei abgegeben werden", nennt Maack eine weitere Möglichkeit.
Mentalität in Gesundheitsfragen muss sich ändern
Medizinisch notwendig seien die Diclofenac-Salben - mit Ausnahme gegen Arthritis - oft nicht, ist Maack überzeugt. "Die Menschen müssten sich viel stärker bewusst machen, was sie mit der Verwendung in die Umwelt bringen." Experten betonen schon seit Jahren, dass sich die Mentalität in Gesundheitsfragen in Deutschland grundlegend ändern müsse: Mehr Bereitschaft zu eigenem Handeln wie etwa zu einer besseren Ernährungsweise und einem höheren Bewegungspensum sei nötig. "Dass verbreitete Ansicht ist, ein Medikament oder eine Behandlung müsse jede Erkrankung richten und man selbst müsse gar nichts tun, ist Teil des Problems", sagt Maack.
Derzeit gelangen in Deutschland jährlich Tausende Tonnen biologisch aktive Wirkstoffe aus Human- und Tiermedizin über Abwässer, Klärschlamm und Gülle in die Umwelt. Mehr als 2000 verschiedene Substanzen sind im Handel. Das Problem wird an Brisanz gewinnen: Die Generation der Babyboomer erreicht das Rentenalter - und vor allem Senioren nehmen viele Medikamente. Verglichen mit dem Jahr 2015 sei bis 2045 mit einer bis zu 70-prozentigen Steigerung beim Einsatz rezeptpflichtiger Arzneimittel zu rechnen, sagt UBA-Experte Maack.
In der Umwelt summieren sich die Substanzen
Zudem summieren sich die Mengen vieler Substanzen in der Umwelt. "Arzneimittel sind oft sehr stabil verglichen mit anderen Chemikalien", erklärt Maack. Schließlich seien sie dafür geschaffen, unwirtliche Körpergefilde wie den Magen-Darm-Trakt und Passagen durch Zellwände heil zu überstehen. In der Umwelt würden sie häufig nur sehr schlecht abgebaut und behielten ihre biologische Wirksamkeit lange Zeit.
Bei Neuentwicklungen werde von Pharmafirmen auf noch mehr Haltbarkeit geachtet - zum Beispiel, damit Medikamente nur noch einmal statt zweimal täglich genommen werden müssen, sagt Maack. Die Umweltverträglichkeit werde bei der Entwicklung bisher gar nicht beachtet. Vom Pharma-Unternehmensverband vfa heißt es dazu, dass es nur begrenzt möglich sei, chemisch-synthetische Wirkstoffe von vornherein gut biologisch abbaubar zu entwickeln.
Substanzen gelangen auch ins Trinkwasser
Immer mehr, immer haltbarer: Was richtet das letztlich an? Konkrete Folgen eindeutig nachzuweisen, ist schwer. Gesicherte Zusammenhänge sind für den Menschen bisher nicht erfasst. Auch beobachtete Phänomene in der Umwelt lassen sich nur selten ursächlich auf einzelne Schadstoffe zurückführen, weil es insgesamt unzählige Schadstoffe und Einflussfaktoren gibt, die typischerweise in einem komplexen Netzwerk zusammenspielen, wie Maack erklärt. Hinzu kämen chronische Effekte und Veränderungen des Erbgutes, denen noch schwerer auf die Spur zu kommen sei.
Klar ist, dass die Substanzen über die Wasserentnahme aus Gewässern und Grundwasser unvermeidbar auch ins Trinkwasser gelangen, ebenso in Mineralwasser. "Das ist nicht unbedingt weniger belastet als Wasser aus dem Hahn", sagt Maack. Zwar liegen die Konzentrationen meist weit weg von den therapeutisch wirksamen. Die möglichen Langzeitfolgen für den Menschen sowie potenzielle Wechselwirkungen seien aber völlig unklar, gibt Maack zu bedenken. "Wir alle sind dafür die Langzeit-Probanden."