Premiere auf der Luisenburg Shakespeares „Sturm“ als Simmlers Zirkus

Als Spektakel für alle Sinne inszeniert Luisenburg-Chefin Birgit Simmler den „Sturm“ in Wunsiedel. Die Aussage von Shakespeares Alterswerk bleibt trotz vieler visueller Reize klar erkennbar: Vergeltung macht Verrat nicht ungeschehen – für den eigenen Seelenfrieden braucht es Vergebung.

 
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1. Was fasziniert?

Dieser „Sturm“ schafft den Spagat zwischen Kunst und Show: Die Zuschauer kamen bei der Luisenburg-Premiere am Freitag aus dem Schauen und Staunen nicht heraus.

Der Knaller ist, wie José Luna, unterstützt von Co-Designerin Stephanie Traut, die Wunsiedler Felsenbühne samt Schauspielern optisch in Szene setzt. Im Kombination mit der artistischen Choreografie von Annika Dickel sowie den musikalischen Akzenten von Frank Nimsgern komponiert die künstlerische Leiterin der Luisenburg den „Sturm“ als zauberhaftes Zirkusstück.

Dank Simmlers kluger Regie deckt das dicke Drumherum die Handlung aber nie zu, sondern verdeutlicht sie.

Mit verblüffenden Licht- und Farbspielen designt José Luna spektakuläre Bühnenbilder: Da wogen grellgrüne Wellen über hohe Steine; faszinierende Schatten und bunte Lichtblitze beleben Felsen und Fichten.

Die Renaissance-Welt des Adels bricht mit greller Plastik-Silhouette in Silber und Gold auf der Insel ein. So macht schon die Optik dramaturgische Kontraste klar: Auf diesem utopischen Eiland, wo die magische Kräfte der Natur wirken, wirkt die protzige Königshof-Mischpoke umso künstlicher.

Als roter Faden dient die Farbe Orange: Knallig heben sich der hohe, schiefe Schiffsausguck ebenso wie die vier riesigen Netze, die die Gestrandeten gefangen nehmen, von den Steinen ab. Dieser Neonton symbolisiert aber auch Zugehörigkeit: Orange dominiert, kombiniert mit Türkis, im weiten Walle-Mantel Prosperos (Philipp Rudig) wie im nymphenhaften Kleidchen seiner Tochter Miranda (Janina Raspe). In Wellenform zieht Kostümbildner Luna Orange und Türkis auch über die Ganzkörper-Trikots der tanzenden Geister. Hightech-Stoffe mit Leuchtkraft erhöhen zusätzlich die Spannung.

Als weitere Requisiten reichen oft ein paar Neonröhren: sieben hohe, weiße ergeben ein schwankendes Schiff, drei rote ein Lagerfeuer, drei grüne Calibans Kerker.

2. Was irritiert?

Das Alterswerk „Sturm“ wird als Selbstbild verstanden – als Shakespeares Vermächtnis an die Nachwelt. Wie sein Protagonist Prospero der Zauberei entsagt, entsagt der Poet dem Theater. Es steckt viel Philosophisches in dieser starken Figur des gestürzten Herzogs von Mailand, der am Ende altersmilde alle Rache- und Unterwerfungsgelüste aufgibt und für Nachsicht wie Versöhnung plädiert. Doch Philipp Rudigs Spiel lässt auf der Luisenburg mehr an einen Wassermann denken als an einen weltfremden Bücherwurm. Diese intellektuelle Inkarnation Shakespeares könnte viel mehr Ausstrahlung vertragen, um das eindrucksvolle Bild eines mächtigen Herrschers und philosophischen Denkers zu zeichnen.

Kaiser und Könige gegen den Strich zu besetzen ist auf der Luisenburg offensichtlich das Gebot dieser Spielzeit: Im „Amadeus“ spielt der hessisch sprechende Ex-Nationalspieler Jimmy Hartwig den österreichischen Kaiser, im „Sturm“ kommt Nikola Norgauer als kleiner, komischer König von Neapel daher: ganz und gar gold-glänzend, Busen wie Gemächt gleichermaßen betont.

3. Worum geht es?

Sein eigener Bruder hat Prospero vor zwölf Jahren entmachtet. Nun lässt der Herzog von Mailand mittels Magie das Schiff seiner Feinde untergehen. Der Hofstaat strandet auf Prosperos Zauberinsel, auf der der verbitterte Herrscher mit seiner Tochter Miranda und unterworfenen Luftgeistern lebt. Der Herzog möchte in sein altes Leben bei Hofe zurückkehren und Rache üben. Doch statt ewig den Verrat zu vergelten, setzt er am Ende auf Vergebung und Freiheit.

4. Kennt man ein Zitat?

Shakespeare nimmt mit seinem letzten Stück „Sturm“ Abschied von der Bühne. Das kommentiert sein Alter Ego Prospero wie folgt:

„Wir sind vom gleichen Stoff, aus dem die Träume sind. Und dies Leben ist ein kurzer Traum, eingebettet in einen langen Schlaf.“

5.  Wer  kommt  groß  raus?

Einen geilen Geist gibt Christian Sengewald: Im Schiller-silber-türkis-Trikot, mit hochtoupiertem Blauschopf und betontem Gemächt zieht er die Fäden und alle Blicke auf sich. Statt diese Rolle wie meist üblich mit einem elfenhaften Mädchen zu besetzen, setzt Simmler mit Sengewald einen krassen Kontrapunkt. Die Aura dieses androgynen Ariels erinnert nicht nur beim Tanzen an David Bowie. Stärkste Szene: Unglaublich präsent lässt Sengewald wie ein Dirigent von einem Stein aus die Puppen tanzen.

Ähnlich agil, aber mit mehr dunklen Seiten, kommt Ariels Insel-Bruder Caliban (Lukas Schöttler) daher: Trotz seiner zwei roten Hörner, der Borsten und der Aborigine-Maske auf dem Hinterkopf hat er nichts Abstoßendes, sondern erinnert in seiner geschmeidigen Beweglichkeit an eine der „Cats“ aus dem gleichnamigen Musical. Schöttlers Caliban ist kein Ungeheuer, sondern ein Opfer, das sich zur Wehr setzt, weil es nach Kolonialherren-Art unterjocht worden ist. „Sklave“ nennt ihn Prospero und droht dem „Vieh“: „Ich mach dich zittern“: Fatal ist, wie hoffnungsvoll sich Caliban den Neuankömmlingen unterwirft. „Ich will dein Knecht sein“, verspricht er Stephano (Julian Niedermeier), ohne zu erkennen, dass er so als „Tyrannen Untertan“ vom Regen in die Traufe käme. Denn Stephano will Caliban auch nur zahm machen, vorführen und ausbeuten.

Ob bei ihrer Akrobatik auf dem acht Meter hohen Schiffsmast, bei ihrem Stangen-Tanz, oder bei ihrem Wirbeln durch hohe Netze: Ganz große Hingucker-Geister in der neuen Luisenburg-Produktion sind die Artisten Henning Wiedemann, Jule Schuster, Tabea Zimmermann, Alexander Bonhorst, Miriam van der Neut und Clara Groeger.

Bemerkenswert ist auch Butz Buse als treuer Gonzalo. Er gibt ihn als wunderlichen Alten mit einem Globus auf dem Kopf, was auf seine Weltgewandtheit hindeuten könnte.

6. Ist das Stück aktuell?

Auf Theaterbühnen stürmt es schon seit 1611, denn Themen wie Machtgier, Tyrannei, Unterwerfung sowie innere Konflikte um Vergeltung und Vergebung bleiben zeitlos.

Wer will, kann in Shakespeares Miranda sogar eine Vorläuferin Greta Thunbergs sehen: Denn die Prinzessin empfindet die Höflinge – zumindest in Simmlers Interpretation – als Eindringlinge in ihr Paradies. Das Naturkind Miranda lehnt ihre umweltzerstörende Verschwendungssucht ab. Auch den Albtraum der Gestrandeten nutzt die neue Wunsiedler Inszenierung zur Anklage gegen Prasserei und Ressourcenvernichtung: Knallbuntes, aufgeblasenes Plastik-Essen treibt letzten Endes sogar die Verschwender selbst in den Wahnsinn.
 

7. Wird viel verändert?

Nicht ohne Grund steht im Programmheft „Sturm“ nach William Shakespeare in der Fassung von Birgit Simmler. Denn die künstlerische Luisenburg-Leiterin und ihre Dramaturgin Susanne Schulz mischen den über 400 Jahre alten Klassiker nicht nur optisch auf. Simmler erzählt Episoden weiter, spielt schon mal gegen Shakespeares Strich und zerstört sogar seine Romanze: Auf der Felsenbühne haut es nicht hin mit Miranda (Janina Raspe) und Prinz Ferdinand (Nina Raspe, ohne die weiblichen Züge wegzudrücken).

Lapidar erklären beide, sie liebten sich nicht – prompt ist Prosperos politischer Plan zunichte. Stattdessen turtelt Miranda ausgerechnet mit Caliban, dem Shakespeareschen Ungeheuer, das „stinkt wie toter Fisch“. In Simmlers Inszenierung wirkt Lukas Schöttler als Caliban aber weit weniger widerlich als bei Shakespeare. „Er ist ein Bösewicht, ich mag ihn nicht“, sagt Janina Raspe als Miranda zwar texttreu, spielt aber etwas anderes.

Das hat sogar Auswirkungen auf das Ende: „Zurück nach Mailand, zurück aufs Schiff“, frohlockt Prospero, doch sein Luisenburg-Töchterchen folgt der Urfassung abermals nicht: „Ich bin hier glücklich, Vater, ich bleibe“, sagt Janina Raspe. Ihre Miranda ignoriert als selbstbewusstes Inselkind des Vaters Ziel, mit einer geschickt vermählten Tochter siegreich zum Königshof zurückzukehren.

Das heimliche Liebespaar sind auf der Luisenburg Prospero und Ariel. Als der Hochzeitsmarsch ertönt, stehen die zwei da, als ob sie eigentlich Braut und Bräutigam wären. Spätestens, wenn Ariel eine Träne verdrückt, wird klar: Dieser Geist liebt seinen Meister.

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