Kasparow beginnt schlecht
Das Match beginnt denkbar schlecht für den heißblütigen Kaukasier. In der auf sechs Gewinnpartien angelegten Auseinandersetzung - Unentschieden zählen nicht - liegt er nach nur neun Partien mit 0:4 hinten. Er habe Karpow unterschätzt, gibt er rückblickend zu. Seine bisherigen Gegner hatten nicht die Zähigkeit und Ausdauer des Weltmeisters. Sie brachen unter Kasparows Attacken zusammen, Karpow kontert eiskalt.
Also ändert Kasparow seine Taktik. Statt bedingungslos auf Sieg spielt er nun auf Remis, um Zeit zu gewinnen. Das Kalkül geht auf. Zwar gewinnt Karpow auch noch die 27. Partie, doch der Ältere wirkt zunehmend ausgelaugt. Der Wettkampf zieht sich über Monate und plötzlich hat Kasparow sein erstes Spiel gewonnen. Dann siegt er in der 47. und 48. Partie gar zweimal hintereinander, verkürzt auf 3:5 - und das Match wird völlig überraschend abgebrochen.
Überraschender Abbruch
Der Chef des Schachweltverbandes FIDE Florencio Campomanes begründet dies mit der Sorge um die Gesundheit der Spieler. Doch bis heute liegen die wahren Motive im Dunkeln, die FIDE ist zu jener Zeit stark vom sowjetischen Verband abhängig. Beide Spieler fühlen sich benachteiligt. Es ist jedoch Kasparows Protest, der im Gedächtnis bleibt. Wutentbrannt springt er auf die Tribüne und spricht von einem Spektakel, das Karpow den Titel retten soll. Erstmals geht ein sowjetischer Schachspieler offen in einen Konflikt mit den mächtigen Funktionären des Verbands.
Ein gefährlicher Affront - doch für Kasparow endet er siegreich. Der WM-Kampf wird 1985 neu angesetzt, auf 24 Partien begrenzt - und diesmal siegt Kasparow mit 13:11. Er ist neuer Weltmeister. Dreimal verteidigt er bis 1990 seinen Titel gegen den Dauerkonkurrenten, dann scheidet er im Streit aus der FIDE aus. Er revolutioniert das Schach, gründet einen eigenen Profiverband und spielt die ersten Matches gegen Schachcomputer. Erst im Jahr 2000 verliert er den Titel an den wesentlich jüngeren Wladimir Kramnik.
In Opposition zu Putin
Zu der Zeit interessiert sich Kasparow längst schon für die große Politik. In den 1990er Jahren unterstützt er Russlands Präsident Boris Jelzin, doch dessen Nachfolger Wladimir Putin kritisiert er scharf für die zunehmend autoritäre Politik. Kasparow engagiert sich bei der liberalen Opposition um Boris Nemzow und will 2008 bei der Präsidentenwahl antreten. Doch als Politiker ist er nicht annähernd so erfolgreich wie als Schachspieler. Bei Protesten wird er festgenommen. Ausgerechnet Karpow bringt ihm Essen in die Arrestzelle.
Schließlich flieht Kasparow aus Russland, weil er keine Chance auf schnelle Veränderungen sieht und Strafverfolgung fürchten muss. Hart kritisiert er Putin und dessen Krieg gegen die Ukraine. In Russland wird das allerdings kaum noch wahrgenommen.
Ex-Weltmeister sitzt immer noch in der Staatsduma
Und Karpow? Der inzwischen 73-Jährige ist weiterhin der Kandidat der Obrigkeit. Seit 2011 sitzt er in der kremltreuen Duma und trägt alle deren Gesetze mit. Leise Kriegskritik zu Beginn verstummt schnell nach einem ominösen häuslichen Unfall. Nach Putins Wiederwahl Anfang des Jahres gratuliert er artig auf seinem Telegramkanal. Die EU hat Karpow mit Sanktionen belegt, doch in Russland ist er weiter gut im Geschäft. Selbst einen Film hat Moskau über ihn gedreht. In "Weltmeister" ist Karpow natürlich der Sieger gegen einen hinterhältigen Kortschnoi, und die Sowjetunion wird zum nostalgischen Sehnsuchtsort verklärt.