Selb/Kempten - Der Titel "Entropia, oder die Hochzeit auf dem Lande" ist etwas sperrig. Wer sich dennoch traut, den Buchdeckel zu öffnen, der ist sofort daheim: "Standort: Kaiserhammer, Gasthaus 'Zum Egertal', ehemalige Stallung des Schlosses, das Heu der Jahrhunderte ist nicht mal mehr ein Geruch, der hinter der Toilettentür zwischen den giftgrünen Kachelfugen hervorsimmert ..."

So beginnt die neue Erzählung von Michael Perkampus, der in Selb geboren ist, aber mittlerweile im Allgäu lebt. 1991 erschien sein erster Gedichtband. "Geschrieben habe ich schon immer, aber das sagt ja jeder", erzählt der Autor, dem die Autorenschaft kein Brotberuf ist. "Das wird es wohl auch nicht werden. Dazu ist meine Art etwas zu abgefahren."

"Abgefahren" ist "Entropia" in der Tat. Zwar wird die Geschichte der Hochzeit von Rex und Regina erzählt, aber nicht als Beschreibung eines Ablaufs: Szenen wechseln sich ab und überlagern einander, die Handlung springt von hier nach da. Michael Perkampus vergleicht seinen Schreibstil mit abstrakter Malerei. "Aber für Maler ist es leichter. Sprache verstehen heute viele nur als Weg der Informationsvermittlung." Michael Perkampus aber will in seiner Erzählung Bilder mit Worten malen. Dazu bedient er sich des Mittels der "Bricolage", der "Bastelei". Mehrere Ebenen des Erzählens will er unter dem Schirm des sperrigen Buchtitels versammelt wissen. Inspiriert haben ihn "Die Hochzeit von Himmel und Hölle" des Mystikers William Blake, sowie "Die chymische Hochzeit von Rex und Regina" der Alchimisten, die seelische Gegensätze meint. "Und dann gibt es da natürlich noch die ,echten' Hochzeitsvorbereitungen, die aber alle im Sande verlaufen, also nicht erzählerisch aufgelöst werden."

Michael Perkampus will "über die Ränder jeglicher begrenzter Realität" hinausgehen. "Ich erkenne die vorgegebenen Grenzen der Sprache nicht an, weil wir damit bereits unseren Horizont begrenzen, unseren Weg in die Tiefe hinein versperren", beschreibt Michael Perkampus. Und so überschreitet er auch ganz selbstverständlich die Grenzen der Zeichensetzung: Gleichzeichen zwischen den Worten, fehlende Leerzeichen, Einschübe. Vielleicht auch deshalb wird sein Schreibstil gelegentlich als experimentell bezeichnet. "Es ist schon wahr: ich komme aus dem Surrealismus", räumt der Autor ein. "Für mich ist Sprache Zauberei - und Jean Paul hat das seinerzeit mit seiner Orthografie noch viel schlimmer getrieben. Ich greife oft und gern auf vergessene oder seltene Wortformen zurück, habe also stets die Ganzheit der sprachlichen Entwicklung als Klaviatur vor mir." Den Einfluss von Autoren wie Friederike Mayröcker oder Arno Schmidt verbindet Michael Perkampus mit seinem eigenen Stil. Und den darf er sich nicht beschränken lassen, denn: "Sprache bedingt unsere Wahrnehmung; wo unsere Sprache endet, endet unser Horizont."

Auf diese Weise entsteht ein sehr assoziativer Text, der beim fichtelgebirgischen Leser Emotionen auslöst. So wird Schwarzenhammer in "Entropia" zu einem "schmucken Kästchen, von oben bis unten bemalt mit der Farbe Nostalgie". Allerdings, hat man mit dem Surrealismus wenig am Hut, fordern einen manche Formulierungen ungemein: Wenn die Rede ist von "wirrlenden Wolperg'sichtern" oder einer Welt, "die poren=triefich schäumt & knistert".

"Zielpublikum habe ich keines vor Augen", sagt Michael Perkampus. "Ich glaube, dass ich mich an jene Leserschaft wende, die einmal etwas anderes ausprobieren will - und nicht immer die gleichen Geschichten auf die gleiche Weise erzählt bekommen will." Man finde schließlich nichts über sich heraus, wenn man immer nur das Gleiche tut. "Ich möchte zum fühlenden Denken animieren und dabei zeigen, dass Sprache mehr kann als zu unterhalten."

Im Fall von "Entropia" vermag sie den Ortskundigen zu einer Reise durch die Region mitzunehmen: Da entdeckt der Leser das bekannte Taubenhaus zu Kaiserhammer, den Selber Schausteinbruch, streift Waldsassen und weilt kurz am Kornberg, ehe es in die Gegend um die Regnitz geht. "Für mich ist das Fichtelgebirge die Landschaft meiner Seele, die romantische Urlandschaft schlechthin, mein Eden sozusagen", bekennt Michael Perkampus. "Ich bin ja da aufgewachsen und habe dort gelernt, zu träumen. Sagen wir so: an diesen Orten fand meine Menschwerdung statt, es gibt dort kaum etwas, das ich nicht mit meiner dichterischen Energie aufgeladen habe. Viele mögen mich und meine Arbeit nicht verstehen, aber ich habe nicht weniger im Sinn, als das Fichtelgebirge unsterblich zu machen, auch wenn das die Massen nicht interessieren dürfte." Als "Botschafter für Oberfranken" setzt sich Michael Perkampus im Ehrenamt für seine Heimat ein: "Ich entdecke mich auch jenseits meiner Arbeit beim Schwärmen. Das sind in diesem Falle ganz praktische Angelegenheiten: Bier, die Hoheit unserer Wälder, unsere Erze- und Steinvorkommen, das Essen." Dass das Fichtelgebirge vielen nicht bekannt ist, sei schmerzlich. "Dabei ist es doch das Paradies!" So oft er kann, weilt er deshalb auch in der alten Heimat.

Für die Zukunft hofft Michael Perkampus auf neugierige Leser. "Es ist freilich schwer, mit dieser Art Literatur einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erreichen. Man hat mich schon oft beschworen, etwas ,Lesbares' zu schreiben, aber ohne Erfolg. Ich entspreche nicht dem Zeitgeist." Doch hoffe er, dass man in der Heimat vielleicht eines Tages ein wenig stolz sein wird. Darauf, "dass man einen ,merkwürdigen' Dichter hatte, der das Land so sehr liebte, dass er auch sprachlich das Platte vermied, um in diese mysteriöse Tiefe hinabzusteigen, um dort Schätze zu bergen, die man sprachlich gar nicht anders ausdrücken kann als unkonventionell".

Das Fichtelgebirge ist das Paradies.

Michael Perkampus


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Die Erzählung "Entropia, oder Hochzeit auf dem Land" von Michael Perkampus ist im Verlag "edition taberna kritika" erschienen, ISBN: 978-3-905846-30-0.