Selbitz Ingenieur übernimmt Handwerksbetrieb

Vom Büro auf die Baustelle: Warum sich ein Selbitzer Ingenieur entschieden hat, Fliesenleger zu werden – und nun auch Firmenchef.

 
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Daniel Schmidt (links) übernimmt zum 1. Februar die Fliesenleger-Firma seines Schwiegervaters Klaus Russler (rechts) in Selbitz. Foto:  

Früher saß Daniel Schmidt täglich im Büro an seinem Schreibtisch, tippte in seine Tastatur und bearbeitete am Computer Projekte für Kühlsysteme. Heute kniet der 32-Jährige auf dem Boden, hält in seiner rechten Hand eine Kelle und zieht damit Fliesenkleber über den Estrich: Aus dem studierten Maschinenbauingenieur ist ein Fliesenleger geworden.

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Mehr Abwechslung

Viereinhalb Jahre ist es her, dass Daniel Schmidt den Bürostuhl gegen die Baustelle eintauschte. Auf seine Kündigung als Projektleiter folgte eine Ausbildung zum Gesellen im Fliesenlegerbetrieb von Klaus Russler in Selbitz. Dieser erinnert sich noch gut an den Tag, als ihn sein Schwiegersohn mit der Idee konfrontierte, bei ihm anfangen zu wollen. „Ich war schon etwas überrascht, als er mir von seinem Plan erzählte. Aber ich dachte mir, er soll es einfach mal versuchen.“

Aus dem Versuch wurde schnell ein Job, der Schmidt Spaß macht. Der Boden sei zwar dreckiger und der Ton auf der Baustelle etwas rauer, dafür bekomme er mehr Abwechslung und Wertschätzung. „Es ist schön zu sehen, wie sich die Kunden freuen, wenn wir vorbeikommen und etwas in ihrem Haus schaffen“, stellt er fest. Die Entscheidung zum Handwerksberuf habe er auch deshalb noch keinen Tag bereut. Ganz im Gegenteil: Schmidt sieht seine Zukunft als Fliesenleger.

Und so wagte er im vergangenen Jahr noch einen weiteren Schritt: den Weg auf die Meisterschule. Im August schloss er sie als jahrgangsbester Fliesen-, Platten- und Mosaiklegermeister Oberfrankens ab. Dafür erhielt er bei einer Gala in Lichtenfels vom bayerischen Ministerpräsidenten den Staatspreis für hervorragende Leistungen. Ein Moment, an den sich der 32-Jährige gern zurückerinnert: „Das ist schon etwas Besonderes, wenn Markus Söder vor dir steht und dir eine Urkunde überreicht.“

Zeit zum Feiern bleibt dem 32-Jährigen aber nicht: Im Februar will er die Firma seines Schwiegervaters übernehmen. Dafür muss einiges organisiert werden: Neben Behördengängen und Bankterminen sind es vor allem praktische Abläufe aus dem Berufsalltag, die er von seinem Schwiegervater lernen möchte. 34 Jahre Erfahrung aus der Selbstständigkeit ließen sich schließlich nicht durch einige Monate Meisterschule ersetzen. „Ich gehe mit sehr viel Respekt an die Aufgabe heran“, sagt Schmidt und versichert: „Ich möchte, dass der Name Russler weiter mit Qualität und herausragender Arbeit verbunden wird.“

Damit das so bleibt, will der studierte Ingenieur zwar viele Abläufe übernehmen, aber auch einige Dinge verändern. Vor allem in Sachen Organisation und Digitalisierung sieht er im Handwerk große Möglichkeiten. Hier könne er von seinen Erfahrungen aus seinem früheren Job als Projektleiter profitieren. Dem Quereinsteiger ist es aber auch wichtig, zu betonen, dass man allein mit Technik und Struktur keinen Betrieb führen kann: „Keine künstliche Intelligenz und kein Roboter kann das Fliesenlegen ersetzen. Das ist das Schöne an diesem Beruf, und deshalb wird das Handwerk auch in Zukunft gebraucht werden.“

Das Handwerk kämpft wie viele andere Branchen stark mit dem Fachkräftemangel. Es gibt kaum Nachwuchs und nur wenige Bewerber für offene Stellen. Dabei sind die Betriebe als Arbeitgeber nicht wegzudenken, das zeigen die Zahlen des bayerischen Wirtschaftsministeriums: Demnach gibt es allein in Bayern mehr als 210 000 Firmen, die Jahresumsätze von gut 150 Milliarden Euro erwirtschaften und milliardenschwere Investitionen tätigen.

Falsche Vorstellungen

Fakten, die Daniel Schmidt zwar bekannt sind – aber offenbar beim Nachwuchs nicht ankommen. Einen Grund dafür sieht er in Social Media. Die Plattformen würden falsche Bilder von Berufen vermitteln: „Wenn man sich Videos von manchen Influencern ansieht, entsteht der Eindruck, dass man mit wenig Arbeit viel Geld verdienen kann. Aber das ist nicht die Realität.“ Umso wichtiger sei es, den Beruf wieder attraktiver zu machen und so junge Leute zu finden, die Lust auf den Beruf haben und mit der Firma etwas erreichen wollen.

Ab 1. Februar muss sich Daniel Schmidt um all die Herausforderungen selbst kümmern. Dann übernimmt er die Firma Russler und ist Chef von sechs Angestellten. An seinen alten Bürojob als Projektleiter denkt der Selbitzer übrigens noch selten zurück. Auf die Frage, ob er daran noch irgendetwas vermisse, antwortet er schnell mit „Nein“ und schiebt mit einem Lachen hinterher: „Im Bürostuhl hatte ich mehr Rückenprobleme als jetzt.“