Bei der Reform dieser Regeln vor zwei Jahren hatte ausgerechnet Deutschland auf Strenge gepocht, nun muss Klingbeil auf Entgegenkommen aus Brüssel hoffen. Seine europäischen Amtskollegen fänden den deutschen Weg gut, berichtete der Finanzminister bei seiner ersten Reise nach Brüssel. Irgendwie wird das schon klappen, klingt durch - aber wie? Selbst dann bleibt noch die Herausforderung, dass die Mittel auch tatsächlich abfließen. Das war zuletzt bei Programmen der Bundesregierung immer wieder problematisch.
Wachstumsimpulse: Die Wirtschaft wartet auf den Boost
"Mein Anspruch ist es, dass wir Deutschland wieder auf Wachstumskurs bringen", sagt Klingbeil. Die lahmende Wirtschaft flott zu machen, das ist eine der dringendsten Aufgaben. Aus dem Finanzministerium dürften noch vor dem Sommer Gesetzentwürfe kommen zur Senkung der Energiepreise und für bessere Abschreibungsregeln für Unternehmen. Vorübergehende Sonderabschreibungen von 30 Prozent auf Ausrüstungsinvestitionen sollen laut Koalitionsvertrag "Investitions-Booster" sein.
Für anderes dagegen muss Klingbeil den Spielraum im Etat erst noch erarbeiten - vor allem für eine ab 2028 geplante Senkung der Unternehmensbesteuerung und eine Einkommensteuerreform. Wann steuerliche Anreize für Rentner kommen, die länger arbeiten, ist ebenfalls offen.
Mission 2029: Das eigentliche Ziel
Dass Lars Klingbeil Finanzminister geworden ist, hat wohl mehr mit der strategischen Bedeutung des Hauses zu tun als mit der Finanzpolitik. Unter ihm ist das Ministerium nicht nur das Haus des Geldes, sondern Vizekanzleramt.
Nach dem Debakel der SPD bei der Bundestagswahl im Februar hatte der Parteichef diesen Posten fest im Blick. Dafür legte er einen machtpolitischen Durchmarsch hin, der nicht allen in seiner Partei gefällt. Mit seinen Personalentscheidungen hat Klingbeil einigen Kredit aufgenommen: Er hat sich umgeben von Vertrauten, an der Parteispitze, in der Fraktion und auch im Finanzministerium. Er gibt den Ton an. Jetzt muss der 47-Jährige rechtfertigen, dass es richtig ist für die SPD, alles auf seine Karte zu setzen.
Klar ist, auch wenn es niemand ausspricht, dass Klingbeil sein Umfeld schon jetzt auf eines ausrichtet: Die Kanzlerkandidatur 2029. Altkanzler Olaf Scholz hat bereits bewiesen, dass das Finanzministerium ein Sprungbrett dafür sein kann. Und so viel Kritik Klingbeil in der SPD auf sich gezogen hat, so erfolgreich scheint seine Taktik außerhalb der Blase zu sein. Im Ranking des Insa-Instituts für die "Bild"-Zeitung ist der Neu-Finanzminister bereits aufgestiegen zum zweitbeliebtesten Politiker hinter Verteidigungsminister Boris Pistorius.