Streit an der Hochschule Sciences Po Cancel Culture in Frankreichs Küchen?

Knut Krohn

An einer Hochschule in Paris wird darüber gestritten, ob die Küchenkultur des Landes rassistisch ist

 
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Essen gehört in Frankreich zur Lebenskultur. Nun wird aber plötzlich über die Frage diskutiert: Ist das französische Essen rassistisch? Foto: dpa-tmn/Atout France

Paris - Essen ist in Frankreich nicht einfach Nahrungsaufnahme. Essen ist ein Stück Kultur, eine Kunst, um die die ganze Welt die Franzosen beneidet. Doch plötzlich liegt ein dunkler Schatten über der landestypischen Gastronomie und die Frage steht im Raum: Ist die französische Küche rassistisch?

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Förmlich in die Suppe gespuckt hat den Franzosen die Wissenschaftlerin Mathilde Cohen, Mitarbeiterin am renommierten französischen Institut für Grundlagenforschung CNRS, bei einer Veranstaltung der Hochschule Sciences Po in Paris. „Das französische Essen wird oft als nationales Ritual dargestellt, an dem alle Bürger gleichermaßen teilnehmen können“, führte sie ihren Videobeitrag ein, der im Netz schnell die Runde machte. Dieser Aussage können alle Franzosen natürlich zustimmen, dann aber beleuchtete Mathilde Cohen dieses Ritual in einem ganz neuen Licht: „Diese Essgewohnheiten werden von den Standards der oberen weißen Mittelschicht geprägt.“

Das Erbe der Kolonialzeit

Die Wissenschaftlerin nennt dieses Phänomen „blanchité alimentaire“. Sie begründet ihre Argumentation anhand von zwei Beispielen. So seien etwa in den im 19. Jahrhundert in Frankreich und seinen Kolonien eingeführten Schulkantinen „weiße und christliche“ Essen-Standards etabliert worden. Auch sei zum Beispiel die französische Staatsbürgerschaft auf der Grundlage von „weißen Verhaltensweisen“ zuerkannt worden, die auch die Essgewohnheiten einschlossen. „Die kolonialen Verwaltungsbeamten achteten auf den Lebensstil der Antragsteller, einschließlich ihrer Essgewohnheiten. Aßen sie Reis oder Brot? Haben sie auf dem Boden oder am Tisch gegessen?“ erklärt die Forscherin. Das habe zur Ausgrenzung von Minderheiten geführt, indem die weiße französische Esskultur einen privilegierten Status erhalten habe. Doch damit nicht genug. Dieses Problem sei in die ganze Welt hinausgetragen worden, konstatierte Mathilde Cohen, da die französische Küche in vielen Ländern eine Art Leitbild der Küchenkultur darstelle.

Die Universität reagiert aufgeregt

Die große Resonanz auf den Vortrag im Internet bliebt natürlich den Verantwortlichen der Sciences Po nicht verborgen, zumal auf den Videoaufnahmen das Logo der Hochschule zu sehen ist. Schnell stellte sich die Frage, ob die Universität solche Aussagen billigen würde. Auch Politiker meldeten sich zu Wort. Der Parlamentsabgeordnete Eric Ciotti von der konservativen Partei Les Républicains etwa bedauerte, dass die Schule, an der er seinen Abschluss machte, „einst offen und ausgezeichnet, jetzt indigene, rassistische und völlig wahnhafte Theorien lehrt“.

Bei der Sciences Po läuteten die Alarmglocken und eine Erklärung wurde auf Twitter veröffentlich. Dort hieß es, dass „keine Theorie oder bestimmte Denkrichtung“ gefördert werde und es wurde unterstrichen, dass Mathilde Cohen nicht an der Hochschule lehren würde. Ihr Beitrag sei zudem nur einer von rund 50 Video-Vorträgen zu verschiedenen Themen gewesen, der auf der Veranstaltung gehalten wurde.

Aufgeheizte Stimmung in Frankreich

Die überaus nervöse Reaktion der Verantwortlichen der Sciences Po erklärt sich aus der aufgeheizten Stimmung, die im Moment an Frankreichs Universitäten herrscht. Die Themen Rassismus, Ausgrenzung oder Identitätspolitik sorgen wegen mehrere Vorfälle immer wieder für hochkochende Emotionen. So mussten etwas zwei Dozenten der Sciences Po in Grenoble unter Polizeischutz gestellt werden, als eine Diskussion um Antisemitismus und Islamophobie bereits im Vorfeld eskalierte. Und für allergrößte Aufregung sorgte die Praxis der französischen Studentengewerkschaft Unef, Treffen nach Geschlecht und Hautfarbe getrennt abzuhalten, um über Diskriminierung diskutieren zu können.

Bisher war der Streit über einengende Ideologien und die Gefahr des Dogmatismus allerdings vor allem auf intellektuelle Zirkel und Universitäten beschränkt. Dass die Diskussion über Cancel Culture nun auch die Restaurants und Küchen erreicht, ist allerdings auch nur in Frankreich möglich. Das Land, in dem die Art zu Essen eben auch eine Lebenseinstellung ist.