Südosteuropa Schläge statt Pflege im Altenheim

Thomas Roser

Auf dem Balkan mehren sich Klagen über Misshandlung von alten Menschen in den Altenheimen. Woran das liegt und was die Arbeitsmigration damit zu tun hat.

 
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Die Stadt Peja im Kosovo: Ein Fall von brutaler Gewalt im Altenheim hat die Öffentlichkeit auf dem Balkan aufgewühlt. Foto: imago/Luis Fernando Dafos

Wimmernd und mit erhobenen Händen versuchte die gebrechliche Frau die Schläge ihrer Peinigerin abzuwehren. Doch gegen ihre wesentlich jüngere Pflegerin hatte die 70-jährige Bewohnerin des Altenheims Orenda in der Kosovo-Stadt Peja (Pec) keine Chance. Lachend schlägt die Krankenschwester Aurona P. der dementen Frau minutenlang ins Gesicht und in den Bauch, während eine ihrer Kolleginnen feixend die Misshandlung filmisch festhält. Sie habe sich „nur verteidigt“, behauptete die Frau nach ihrer Verhaftung in der vergangenen Woche: Die Heimbewohnerin habe sie angegriffen.

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Diese in den sozialen Medien verbreiteten Aufnahmen der Prügelorgie haben nicht nur im Kosovo, sondern in der ganzen Region Entsetzen ausgelöst. Drei Pflegerinnen sind wegen der Misshandlung ihrer Schutzbefohlenen sowie der widerrechtlichen Aufnahme ohne Zustimmung der Betroffenen mittlerweile in Untersuchungshaft. Kosovos Sozialministerium hat die vorläufige Schließung des Altersheims angeordnet.

Auf frühere Klagen von Angehörigen über die Misshandlung von Heimbewohnern hatte es nicht reagiert. Ein Einzelfall ist der Skandal derweil keineswegs: Grenzüberschreitend mehren sich in Südosteuropa die Klagen über die Vernachlässigung und Misshandlung von Heimbewohnern.

Familienbande lösen sich auf

Traditionell sind die Familienbande auf dem Balkan sehr eng. Die Jüngeren kümmern sich um die älteren Angehörigen, wenn die gebrechlicher werden, so sieht die überkommene – und häufig idealisierte – Vorstellung aus. Staatliche Altersheime wurden zu sozialistischen Zeiten im 20. Jahrhundert zwar eröffnet. Doch deren Zahl hielt sich jahrzehntelang genauso in Grenzen wie die Nachfrage.

Doch inzwischen ist Altenpflege auch in den Balkanstaaten zum boomenden Business geworden: Es ist die anhaltende Emigration, die in Südosteuropa zu einer rasch steigenden Zahl von alten Menschen ohne in der Nähe wohnende Angehörige führt und die Geschäfte der privaten Altersheime brummen lässt.

Wildwuchs und windige Investoren

Windige Investoren wittern schnelles Geld. Gleichzeitig ist der Wildwuchs enorm, die Kontrolle der Wachstumsbranche unzureichend – und das schlecht ausgebildete und mies bezahlte Personal mit seiner Aufgabe völlig überfordert. „Die meisten Fachkräfte sind längst in den Westen abgewandert“, umschreibt in der serbischen Hauptstadt Belgrad die in einem Altersheim beschäftigte Sozialarbeiterin Ivana Avalic (Name auf Wunsch geändert) gegenüber unserer Zeitung das Hauptproblem des Sektors. Die branchenfremden Investoren der wie Pilze aus den Boden schießenden Privataltersheime würde derweil „oft nur der Umsatz interessieren – und sonst nichts“.

In Serbien haben beispielsweise 20 Inspektoren 38 staatliche und 250 private Altersheime zu kontrollieren (Stand: 2021). Zwar sind in den vergangenen 15 Jahren allein in Serbien über 140 private Altersheime wegen fehlender Lizenzen oder grober Verstöße geschlossen worden. Doch die an die Öffentlichkeit gelangenden Klagen über geschlagene, ausgehungerte oder an Dehydrierung verstorbene Heimbewohner scheinen sich eher zu vermehren als zu vermindern.

Ungeschultes Personal greift zu Gewalt

Es gebe durchaus auch private Altersheime, die sich um die Einhaltung der Standards bemühen würden, aber denen der Mangel an ausgebildeten Fachkräften zu schaffen mache, sagt Nadzeda Sataric vom Sozialverband Amity in Belgrad. Ungeschultes Personal wisse oft nicht, wie man mit dementen Alten kommuniziere, und greife „im Stress“ manchmal zu gewalttätigen Mitteln.

Sataric empfiehlt Angehörigen, sich das Altersheim nicht nur persönlich genau anzusehen, sondern auch auf den Geruch zu achten und andere Heimbewohner über deren Erfahrungen zu befragen: „Das Beste ist es, ein Altersheim in der Nähe zu suchen, wo man seine Angehörigen regelmäßig besuchen kann.“ Wenn die Kinder in Berlin, Stuttgart oder Wien leben, fällt es ihnen aus der Ferne schwer, die genaue Ursache für das plötzliche Verschlechtern des Gesundheits- oder Gemütszustands ihrer im Altersheim untergebrachten Eltern auszuloten.

Selbst wenn die Angehörigen klare Hinweise erhalten würden, dass ihre Mutter oder ihr Vater im vermeintlichen Luxus-Altersheim an den Folgen von nachlässiger Pflege oder falscher Medikamentierung verstorben seien, würden sie den Todesfall „oft auf sich beruhen“ lassen, ist die Erfahrung von Sozialarbeiterin Avalic: „Sie haben ein schlechtes Gewissen und manchmal auch Angst, dass ihnen die Verwandtschaft vorwirft, ihre Eltern mit der Unterbringung im Altersheim frühzeitig in den Tod geschickt zu haben.“