Russland sieht in dem Vorgehen Kiews der vergangenen Tage "ein Ringen um internationale Aufmerksamkeit". "Das sind wahrscheinlich nur PR-Handlungen", sagte der russische Chefunterhändler bei der Lösung des Ukraine-Konflikts, Dmitri Kosak, der Agentur Interfax zufolge. Reale Absichten, einen großflächigen Krieg zu entfachen, gebe es aber wohl nicht.
Der Vertraute Putins warnte Selenskyj zudem mit deutlichen Worten: "Der Beginn von Kämpfen wird der Beginn vom Ende der Ukraine sein." Wenn Kinder mit Streichhölzern spielten, sei schwer vorherzusagen, was passiere. Russland könne sich zu einem Eingreifen gezwungen sehen, um die Menschen im Donbass zu schützen. Russland gewährt trotz internationalem Protest Bewohnern der ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk die russische Staatsbürgerschaft.
Am Donnerstag starben erneut mindestens zwei Menschen bei Gefechten. Nach Angaben der ukrainischen Armee gab es Schusswechsel mit den moskautreuen Separatisten vor allem beim ehemaligen Donezker Flughafen und bei Wodjane in der Nähe des Asowschen Meeres. Es seien auch Mörser eingesetzt worden. Damit stieg die Zahl der Toten trotz einer seit Juli geltenden Waffenruhe seit Jahresbeginn auf rund 50.
"Wir erinnern uns an jeden Kämpfer, der bei der Verteidigung unseres Staates gefallen ist", sagte Selenskyj an der Front. Zeichen der Deeskalation gab der Präsident nicht. Er besuchte stattdessen eine Soldatenkantine und lobte die "hohe Qualität der Speisen". Selenskyj hatte im Wahlkampf 2019 noch versprochen, den Konflikt zu beenden.
Nach Angaben aus Moskau zeigten sich Putin und Merkel besorgt über die Lage. Die Verhandlungen müssten deshalb verstärkt werden, damit der 2015 vereinbarte Friedensplan "als unbestrittene Grundlage" für ein Ende des Konflikts vollständig umgesetzt werde. Mahnende Worte kamen auch aus den USA.
US-Präsident Joe Bidens Sprecherin Jen Psaki sagte im Weißen Haus, die USA seien "angesichts der der jüngst eskalierenden russischen Angriffe in der Ostukraine zunehmend besorgt". An der russischen Grenze zur Ukraine gebe es inzwischen so viele russische Soldaten wie nicht mehr seit 2014. Zudem seien allein in dieser Woche fünf ukrainische Soldaten getötet worden. "Das sind alles sehr besorgniserregende Zeichen", sagte Psaki.
Putin gab dagegen dem Kreml zufolge Kiew die Schuld für die "provokativen Handlungen", mit der die Lage entlang der Front verschärft worden sei. Die Ukraine müsse die zuvor getroffenen Vereinbarungen "strikt einhalten". Dazu gehörten ein direkter Dialog mit den Separatisten in den Gebieten Luhansk und Donezk und ein Autonomiestatus für die Region. Beides lehnt jedoch die ukrainische Seite vehement ab.
Der russische Chefunterhändler Kosak kündigte unterdessen neue Gespräche auf Beraterebene zwischen Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine noch in diesem Monat an. Berlin und Paris versuchen seit Jahren, den Konflikt diplomatisch zu lösen.
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