„Weltuntergangsgletscher“ schmilzt noch schneller als befürchtet
Thwaites-Gletscher„Weltuntergangsgletscher“ schmilzt noch schneller als befürchtet
Markus Brauer 24.05.2024 - 11:49 Uhr
Die gigantischen Gletscher in der Westantarktis verlieren immer mehr Eismasse. Forscher beobachten dort seit Jahren eine schnell wachsende Instabilität im ewigen Eis. Die Folgen könnten verheerend und an Küsten, die Tausende Kilometer entfernt sind, zu spüren sein.
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Forscher beobachten schon seit einigen Jahren eine schnell wachsende Instabilität in Teilen der westantarktischen Eismassen, deren Abschmelzen zu einem zusätzlichen, deutlichen Anstieg des Meeresspiegels führen würde. Deren Abschmelzen könnte bald unumkehrbar werden.
„Weltuntergangsgletscher“ schmilzt noch schneller als befürchtet
Die starken Eisverluste in der Antarktis weisen darauf hin, „dass der schlimmste Anstieg des Meeresspiegels bereits im Gange sein könnte“. Der Thwaites-Gletscher bereitet den Wissenschaftlern dabei besonders Kopfzerbrechen. Schmilzt er vollständig ab, hätte dies einen Anstieg des Meeresspiegels um etwa 60 Zentimeter zur Folge.
Zusammen mit dem Pine-Island-Gletscher bremst Thwaites den Westantarktischen Eisschild, dessen Abschmelzen einen noch viel größeren Anstieg des Meeresspiegels zur Folge hätte. Weil Thwaites eine so herausragende Rolle spielt und sein Verschwinden gravierende Folgen hat, wird er auch „Doomsday Glacier“ – „Weltuntergangsgletscher“ – genannt.
Riesige Hohlräume unter Thwaites-Gletscher
Bereits 2019 hatten Forscher des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der US-Raumfahrtbehörde Nasa festgestellt, dass unter Thwaites ein riesiger Hohlraum in Rekordgeschwindigkeit wächst. Das Gestein unter dem Gletscher liegt deutlich tiefer als der Meeresspiegel.
Der größte Teil des Eises sei durch eindringendes Meerwasser geschmolzen. Schon damals war der Hohlraum zehn Kilometer lang, vier Kilometer breit und 350 Meter hoch – damit so groß wie zwei Drittel der Fläche von Manhattan, wie die Experten „Science Advances“ schrieben.
Unterspülungen durch Meerwasser führen zu starkem Schmelzen
Nun hat ein Forscherteam der University of California in Irvine (UCI) mithilfe von hochauflösenden Satellitendaten die aktuelle Situation am Thwaites-Gletscher analysiert. Die Ergebnisse sind noch dramatischer als vor fünf Jahren.
Das Team fand die Befürchtungen bestätigt, dass schon seit Jahren permanent warmes, unter Druck stehendes Meerwasser tief in das Eis des Gletschers eindringt. Diese Unterspülungen führten zu einem „kräftigen Schmelzen“.
Eric Rignot, Hauptautor der Studie, erklärt, dass die Satellitendaten ein besseres Verständnis des Verhaltens des Meerwassers an der Unterseite des Gletschers ermöglichten. Das Meerwasser dringt demnach an der Basis des Eisschilds ein, staut sich dort und verteilt sich durch natürliche Kanäle oder sammelt sich in Hohlräumen.
„Es gibt Stellen, an denen das Wasser fast dem Druck des darüber liegenden Eises entspricht, sodass nur ein wenig mehr Druck erforderlich ist, um das Eis nach oben zu drücken“, unterstreicht Rignot. „Das Wasser wird dann so stark gepresst, dass es eine Eissäule von mehr als einer halben Meile hochdrückt.“
Diese Einschlüsse und Hohlräume machten den Gletscher empfindlicher gegenüber der Erwärmung des Ozeans und erhöhten die Wahrscheinlichkeit, dass er zerfällt, wenn der Ozean wärmer wird, warnt der Meeresforscher.
Christine Dow, Mitautorin der Studie, beschreibt Thwaites als den „instabilsten Ort in der Antarktis“, der „das Äquivalent von 60 Zentimetern Meeresspiegelanstieg“ enthalte. „Die Sorge ist, dass wir die Geschwindigkeit, mit der sich der Gletscher verändert, unterschätzen, was für die Küstengemeinden auf der ganzen Welt verheerend wäre.“
Wie lange es dauert bis der „Weltuntergangsgletscher“ komplett verschwindet, lässt sich nicht exakt vorhersagen. Aber so viel steht fest, konstatieren die Forscher: „Es wird viele Jahrzehnte, nicht Jahrhunderte, dauern. Ein Teil der Antwort hängt auch davon ab, ob sich unser Klima weiter erwärmt oder nicht, und das hängt ganz von uns ab und davon, wie wir den Planeten verwalten.“
Info: Klimawandel im Eismeer
Kontinentaleis Zwischen 2011 und 2020 verlor Grönland jährlich etwa 251 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) an Eis. In der Antarktis schmolzen jedes Jahr durchschnittlich 143 Gigatonnen an Kontinental-Eis weg. Der Verlust in der Südpolregion lag somit 75 Prozent über der Schmelzrate zwischen 2001 und 2010. Dadurch beschleunigte sich der Anstieg des Meeresspiegels im vergangenen Jahrzehnt auf 4,5 Millimeter pro Jahr. Zwischen 2001 und 2010 waren es jährlich nur 2,9 Millimeter.
Antarktis Vor allem die Antarktis macht Experten in aller Welt Sorgen. Die Ausdehnung des Meereises rund um den Kontinent hat mit knapp 17 Millionen Quadratkilometer einen Tiefstand erreicht – deutlich weniger als in den vergangenen Jahren im antarktischen Winter. „2023 verzeichnete das Südpolarmeer rekordverdächtig niedrige Meereisstände und bisher kaum vorstellbar hohe Temperaturen sowie den Tod von schätzungsweise 9000 Kaiserpinguin-Küken durch den Meereisverlust“, erklärt die Meeresforscherin Andrea Kavanagh vom Pew Bertarelli Ocean Legacy Project. Die Geschwindigkeit der Veränderungen in der Antarktis sei alarmierend.
Grönland Der schmelzende Eisschild Grönlands hat den weltweiten Meeresspiegel seit 1992 bereits um 10,6 Millimeter steigen lassen. Von 1992 bis 2018 seien auf der Insel etwa 3800 Milliarden Tonnen Eis geschmolzen und ins Meer geflossen, wie eine Gruppe von 96 Wissenschaftlern von 50 internationalen Organisationen herausgefunden hat. Bei Fortsetzung des Trends könnte das schmelzende Grönlandeis bis 2100 etwa 20 Zentimeter zum Anstieg des weltweiten Meeresspiegels beitragen. Die Messungen zeigen die Veränderungen seit Anfang der 1990er Jahre. Waren es von 1992 bis 1997 etwa 18 Milliarden Tonnen Eis, die jährlich ins Meer abflossen, so schmolzen von 2012 bis 2017 jedes Jahr rund 239 Milliarden Tonnen des Eisschildes – etwa das 13-Fache. Zwischendurch war die Rate noch höher, mit dem Höhepunkt im Jahr 2011, als 335 Milliarden Tonnen Eis abschmolzen.