Hochaltar der Kreuzritter in Jerusalemer Grabeskirche entdeckt
Versteckt hinter GraffitiHochaltar der Kreuzritter in Jerusalemer Grabeskirche entdeckt
Markus Brauer 16.07.2024 - 09:40 Uhr
In der Grabeskirche von Jerusalem sind Forscher durch Zufall auf den größten bekannten mittelalterlichen Altar gestoßen, der seit Jahrzehnten als verschollen galt. Eine unscheinbare, mit Graffiti beschmierte Steinplatte erwies sich beim Umdrehen als kunstvoll verzierte Frontplatte dieses Altars.
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Der 15. Juli 1149 war ein besonderer Tag für Jerusalem: 50 Jahre zuvor hatten europäische Kreuzritter die Heilige Stadt erobert und nach Jahrhunderten der muslimischen Herrschaft das Königreich Jerusalem ausgerufen. Nun sollte ein glanzvolles Jubiläum das noch junge Königreich weiter festigen.
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Der Höhepunkt war die erneute Weihe der Grabeskirche – eines der größten Heiligtümer der Christenheit. In der Mitte des in den Jahren zuvor im romanischen Stil prachtvoll erweiterten Kirchenbaus erblickte ein besonderes Kunstwerk das Licht der Welt: ein neu geschaffener Hochaltar.
Zwischen Trümmern der Geschichte verborgen
„Wir kennen aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert Pilgerberichte über einen prächtigen Marmoraltar in Jerusalem“, berichtet Ilya Berkovich, Historiker am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Co-Autor der Studie über das historische Kunstwerk. Die Studie („The Story of the Cosmatesque High Altar of the Holy Sepulchre“) ist im Fachmagazin „Israel Exploration Society“ (Volume 35, 2024) erschienen.
Doch so groß der Eindruck war, den der Altar über viele Jahrhunderte bei Menschen hinterließ, so schlagartig verschwand er aus dem allgemeinen Bewusstsein. „Im Jahr 1808 kam es zu einem großen Feuer im romanischen Teil der Grabeskirche“, erzählt Berkovich. „Seitdem war der Kreuzritter-Altar nicht mehr da. Zumindest dachte man das die längste Zeit.“
Erst kürzlich gelang dem Bezirksarchäologen Amit Re’em von der Israelischen Behörde für Altertümer und dem ÖAW-Historiker Ilya Berkovich inmitten der Grabeskirche ein aufsehenerregender Fund: In einem hinteren Korridor der öffentlich zugänglichen Kirche lehnte seit unbestimmter Zeit eine nicht weiter beachtete und mehrere Tonnen schwere Steinplatte an der Wand, auf dessen vorderer Seite sich Touristen mit Graffitis verewigten.
Als die Platte wegen Bauarbeiten nun umgedreht wurde, offenbarte sie ihr deutlich älteres künstlerisches Erbe: Die auf dieser Seite mit Schleifenornamenten verzierte Platte wurde rasch als die einstmals prachtvolle Frontseite des mittelalterlichen Kreuzritter-Altars identifiziert.
Schon allein die Tatsache, dass die Platte in einem so intensiv erforschten Bauwerk wie der Grabeskirche so lange verborgen bleiben konnte, ist eine Sensation. „Dass ausgerechnet an dieser Stelle etwas so Bedeutendes so lange unerkannt herumliegen konnte, kam für alle Beteiligten völlig unerwartet“, sagt Berkovich.
Nicht minder bedeutend ist, welche neuen Erkenntnisse der Fund über den mittelalterlichen Hochaltar erlaubt. Denn die außergewöhnlichen Verzierungen führten die Forscher auf die Fährte des sogenannten Kosmatesk. Diese spezielle Fertigungstechnik von Marmor-Dekorationen beherrschten ausschließlich zünftische Meister im päpstlichen Rom, die diese Kunstfertigkeit von Generation zu Generation weitergaben.
Die Technik zeichnete sich dadurch aus, dass ihre Meister mit geringen Mengen des kostbaren Marmors, der im mittelalterlichen Rom vornehmlich aus antiken Gebäuden abgekratzt wurde, große Flächen dekorieren konnten, indem sie kleine Marmorsplitter mit größter Präzision so zusammenlegten und an steinerne Unterlagen anbrachten, dass sie geometrische Muster und schillernde Ornamente erzeugten.
Altar untermauerte weltlichen Anspruch der Christenheit
Der Wert dieser Kunst war ihren Meistern und auch dem Papst wohl bewusst. So sind nur wenige Kosmatesk-Kunstwerke außerhalb Roms bekannt – und bisher überhaupt nur eines außerhalb von Italien: in der Westminster Abbey, wohin der Papst einen seiner Meister geschickt hatte.
Auch der nun in Jerusalem wiederentdeckte Kosmatesk-Altar muss unter Mithilfe des Papstes entstanden sein. Indem das Kirchenoberhaupt einen der Kosmatesk-Meister in das Königreich Jerusalem sandte, um dort den Kreuzritter-Altar fertigen zu lassen, untermauerte er den Anspruch der Christenheit auf die Stadt. „Der Papst würdigte damit die heiligste Kirche der Christenheit“, so Berkovich.
Der wiederentdeckte Hochaltar ist damit der Beweis einer bisher unbekannten Verbindung zwischen Rom und Jerusalem, die auch für die europäische Kunstgeschichte von großer Bedeutung ist. „Mit einer ursprünglichen Breite von mehr als 3,5 Metern haben wir hier den größten mittelalterlichen Altar entdeckt, der derzeit bekannt ist“, betont Berkovich.