Was Opfer zu Opfern macht Experten warnen vor toxischen Beziehungsmustern

Gebäude, Fahnen und Objekte im Fichtelgebirge strahlen ab Donnerstag, 25. November, bis zum Freitag 10. Dezember, als Zeichen gegen häusliche Gewalt in der Signalfarbe orange. Foto: pr.

Verantwortliche des Frauenhauses­ Hochfranken wissen, was Übergriffe begünstigt: Sie nennen acht Punkte, die in einer Part­ner­schaft gefährlich sind.

 
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1. Wer finanziell abhängig ist, flüchtet öfter ins Frauenhaus.

Häusliche Gewalt gibt es zwar in allen Schichten, aber je besser die Ausbildung und das Einkommen einer Frau sind, desto eher verlasse sie einen gewalttätigen Partner, wissen Sozialpädagogin Julia Martini und Alexander Wagner, Vorsitzender des Frauenhaus-Trägers, des Wunsiedler AWO-Kreisverbands. Die meisten Opfer, die nach Übergriffen Schutz suchten, seien Mütter ohne Auto, die staatliche Leistungen bezögen. Diese Opfer seien finanziell abhängig von dem Partner, der sie quäle.

Das Frauenhaus Hochfranken, das für die Kreise Wunsiedel und Hof sowie die Stadt Hof zuständig ist, beherbergt laut Wagner zu rund 40 Prozent Migrantinnen.

2.   Psychische Abhängigkeit zerstört das Selbstbewusstsein.

Häusliche Gewalt beschränke sich nicht auf die körperliche Ebene – die Täter machten ihre Opfer auch mental abhängig, warnt Martini. Die Partner nähmen ihnen alltäglichste Dinge aus der Hand und redeten ihren Frauen ein, sie brächten selbst rein gar nichts zustande. Das steigere Unsicherheit und Selbstzweifel, erklärt die Sozialpädagogin. „Viele wissen gar nicht, wie sie allein leben sollen.“ Sie brauchten tatsächlich Führung – selbst wenn das kranke Züge habe. So mussten die Mitarbeiterinnen einer gut situierten Ehefrau lernen, wie sie am Automaten Geld abheben kann. „Das übernahm alles ihr Mann und teilte ihr was zu.“

3. Um ihre Macht zu stärken, isolieren die Täter ihre Frauen.

Die meisten Opfer würden vom Partner isoliert – eigene Freunde hätten die wenigsten. „Die Angst vor dem Alleinsein ist ein großes Thema bei Frauenhaus-Bewohnerinnen“, sagt Julia Martini. Auf die Frage, ob ihnen jemand beim Umzug helfen könne, laute die Antwort der Betroffenen fast immer: „Nein,ich habe niemanden.“ Toxische Männer verhinderten, dass ihre Partnerinnen sich außerhalb der Beziehung ein soziales Umfeld aufbauten. Martini: „Wer völlig isoliert ist, dem fällt das Entkommen noch schwerer.“

4.   Die Opfer glauben die Mär von ihrer eigenen Schuld.

Täter redeten ihren Frauen sogar erfolgreich ein, sie seien selbst schuld daran, geschlagen zu werden, weil sie immer alles falsch machten. „Dabei führen oft Kleinigkeiten wie das Quietschen eines Schuhs auf der Treppe zu absurden Gewaltexzessen“, sagt Julia Martini. Aber Opfer ohne Selbstbewusstsein glaubten tatsächlich, dass ihnen nichts passiert wäre, wenn sie sich nur selbst besser verhalten hätten.

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5.   Die Frauen spielen die Übergriffe im Nachhinein herunter.

Obwohl die Opfer in der Regel über Jahre physische wie psychische Gewalt ertragen, nähmen etliche Frauen die Täter in Schutz. Sätze wie: „Ach, so schlimm waren die Schläge doch gar nicht“, hören die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen öfter. „Wir machen den Opfern klar, dass Schlagen einfach nicht okay ist – und zwar in keiner Religion, sagt Martini.

6.  Nicht die Vergewaltiger schämen sich, sondern die Vergewaltigten.

Besonders schambesetzt sei das Thema sexuelle Übergriffe: Julia Martini weiß, dass es Zeit braucht, bis peinlich berührte Opfer darüber sprechen. „Es handelt sich nicht um Vergewaltigung, weil es mein Ehemann war“, werde Frauenhaus-Mitarbeiterinnen erklärt. Sogar Misshandlungen spielten die Betroffenen herunter. Sie verteidigten die Täter sogar noch mit Sätzen wie „er hat es ja wirklich schwer mit mir“.

4.   Trennungswünsche werden mit massiven Drohungen unterdrückt.

Sobald die Opfer äußerten, aus ihrer häuslichen Hölle ausbrechen zu wollen, übten die Partner starken Druck auf ihre Frauen aus: „Wenn du mich verlässt, siehst du deine Kinder nie wieder“ bekämen die Betroffenen dann zu hören. Es werde behauptet: Weil die Partnerin eine sehr schlechte Mutter sei, spreche ihr das Jugendamt ohnehin das Sorgerecht ab. Opfer ohne Selbstbewusstsein glaubten das tatsächlich, weiß Martini und berichtet: Männer mit Migrationshintergrund drohten auch öfter damit, die Kinder für immer in ein anderes Land zu entführen.

7. Etliche Opfer

kehren zu ihrem Partner zurück.

Wie schwer es ist, sich dauerhaft aus einem kranken Beziehungsgeflecht zu lösen, wissen Wagner und Martini. Etliche Frauen kehrten nach ihrer Flucht doch zum Partner zurück. Manche schafften den endgültigen Absprung erst nach zwei, drei Anläufen, wenn neue Versuche ebenfalls gescheitert seien und sich die Übergriffe sogar steigerten.

Die gute Nachricht: Während vor Jahren noch ein Drittel bis die Hälfte aller Bewohnerinnen des Frauenhauses Hochfranken wieder bei dem gewalttätigen Partner landete, seien es aktuell nur noch rund zehn Prozent, erklärt Wagner. Als hilfreich erweise sich das Pilotprojekt „Second Stage“: Nach der maximalen Aufenthaltsdauer von zehn Wochen im Frauenhaus können die Helfer Betroffene nun ein halbes Jahr lang in einer Wohnung unterbringen und weiter betreuen. „Das nimmt den zeitlichen Druck“, sagt Martini. Denn abgesehen von der psychischen Bindung sei es „sportlich“, in nur zehn Wochen eine kindgerechte Wohnung zu finden, die preislich vom Jobcenter akzeptiert werde.

8. Ständige Kontrolle: Eine TV-Serie zeigt die Mechanismen.

Wer ein Exempel für typische Opfer-Täter-Geschichten suche, brauche sich nur im Fernsehen „Sommerhaus der Stars“ auf RTL anzusehen, sagen Julia Martini und Alexander Wagner. Einer der Protagonisten demütige seine Partnerin genau so, wie es den meisten Bewohnerinnen im Frauenhaus widerfahren sei. Dieser Serien-Darsteller kontrolliere, isoliere und würdige seine Frau ständig herab, um sein eigenes Unvermögen zu verbergen. „Das Kranke ist: Die Partnerin macht das alles mit – sie rechtfertigt sein schreckliches Verhalten sogar noch vor anderen“ sagt Julia Martini.

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