Wissenschaft macht große Fortschritte Wie die Corona-Impfforschung vor neuen Pandemien retten könnte

red/
Die Forschung am Corona-Impfstoff könnte auch für die Zukunft wichtig sein. Foto: imago images/penofoto/Petra Nowack

Es wird an mehr als hundert Corona-Impfstoffen geforscht. Übertrieben? Nein, sagt die Wissenschaft, es ist noch viel zu tun. Und: Diese Forschung könnte die Welt vor der nächsten Katastrophe retten.

 
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Genf - In Deutschland kennt man die Covid-19-Impfstoffe von Astrazeneca, Biontech/Pfizer, Moderna und Johnson & Johnson, aber der Markt ist viel größer: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat schon sieben Impfstoffe als effektiv und sicher anerkannt und prüft weitere. Weltweit sind insgesamt rund zwei Dutzend Impfstoffe im Einsatz, darunter welche aus dem Iran, Kuba und China. Und die Forschung läuft auf Hochtouren. Nach Angaben der WHO werden mehr als 130 Corona-Impfstoffe schon klinisch getestet, fast 200 weitere seien in der vorklinischen Entwicklung. Braucht man wirklich so viele?

„Nein“, ist die klare Antwort von Tropenmediziner Jakob Cramer. Der Hamburger ist Leiter für klinische Entwicklung bei Cepi, einer Koalition aus Regierungen, WHO, Impfstoffherstellern und Stiftungen, die die Erforschung neuer Impfstoffe fördert. Cepi hat rund ein Dutzend Corona-Impfstoffe mitfinanziert, darunter die von Moderna und Astrazeneca. Die Forschung sei aber wichtig, sagt Cramer der Deutschen Presse-Agentur, denn: „In der Impfforschung bleiben meist 90 Prozent der Kandidaten auf der Strecke.“

Bedarf ist riesig

Und der Bedarf an weiteren Corona-Impfstoffen ist noch groß. Ärmere Länder brauchen zum Beispiel Mittel, die anders als die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna auch ohne Tiefkühlung lange haltbar sind. Auch deshalb ermuntert die WHO Firmen, weiter zu forschen und Anträge auf Notfallzulassung zu stellen. „Unser Job ist es, so viele Menschenleben wie möglich zu retten“, sagt WHO-Impfexperte Bruce Aylward. Geforscht wird in Deutschland, China, den USA, Indien, aber auch der Türkei, Vietnam, Thailand und anderen Ländern.

Auch für mit Impfstoff heute gut versorgte Länder wie Deutschland ist weitere Forschung wichtig. „Wir haben zwar gute Corona-Impfstoffe. Aber das Bessere ist immer der Feind des Guten“, sagt Cramer.

Andere Vorzeichen 2022

Vielleicht gebe es 2022 schon einen Impfstoff, der Geimpfte anders als heute auch davor schützt, das Virus zu übertragen, sagt Cramer. Geforscht wird auch, wie immungeschwächte Menschen besser geschützt werden können, oder an Impfstoffen, die als Nasenspray verabreicht werden können. So etwas gibt es in manchen Ländern als Grippeimpfung.

2022 ist die Ausgangslage zudem ganz anders als bei der Entwicklung der ersten Covid-19-Impfstoffe. Dann dürfte ein großer Teil der Erdbewohner durch Impfung oder natürliche Infektion Antikörper gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 haben. Man müsse prüfen, ob Auffrischimpfungen in geringerer Dosierung ausreichten, sagt Cramer. „Das würde auch bei der Verträglichkeit noch bessere Ergebnisse erzielen.“ Ein Schwerpunkt von Cepi sei es auch, einen Impfstoff zu finden, der umfassend vor Sars-Cov-2 und weiteren sogenannten Betacoronaviren gleichzeitig schützt.

Die nächste Pandemie kommt

Denn allen ist klar: die nächste Pandemie kommt bestimmt, vermutlich mit einem anderen Atemwegsvirus. „Wir denken viel darüber nach, was die nächste pandemische Bedrohung sein könnte“, sagt Hamilton Bennett, beim US-Corona-Impfstoffhersteller Moderna Direktorin für Impfstoffzugang. Die WHO führt eine Liste mit rund einem Dutzend Krankheitserregern, die bedrohlich werden könnten.

Moderna erforsche die Eigenschaften fast aller dieser Virenfamilien und führe schon Studien durch. „Wenn innerhalb der Familie dann ein gefährlicher Virenstamm auftaucht, können wir sehr schnell sein“, sagt Bennett der dpa. Dann könne in 100 Tagen oder sogar weniger ein einsatzbereiter Impfstoff fertig sein. Die 100 Tage sind auch das Ziel von Cepi, und die G7-Staaten unterstützen es.

Neues Verfahren

Möglich sei das dank der bei einigen Covid-19-Impfstoffen erstmals eingesetzten mRNA-Technologie, sagt Bennett. Die nutzt auch das Mainzer Unternehmen Biontech. Bei der Impfung erhalten Körperzellen den nach kurzer Zeit wieder verfallenden Bauplan für einen kleinen Bestandteil des Virus. Dieses sogenannte Spike-Protein produzieren die Zellen dann selbst, woraufhin das Immunsystem Antikörper gegen den Krankheitserreger bildet. Im Falle eines anderen Virus würde ein anderer Bauplan verwendet, das Verfahren bliebe aber gleich, so Bennett.

Wenn Regulierungsbehörden das Verfahren an sich als sicher anerkennen und sich bei neuen Pathogenen nur der Bauplan ändere, seien keine langwierigen Studien mehr nötig, sagte Bennett. Derzeit prüfen etwa Moderna und Biontech, ob der Bauplan in ihren Impfstoffen wegen der neu aufgetauchten Variante Omikron geändert werden muss. Es wäre das erste Mal seit dem Start der Impfkampagnen mit mRNA-Impfstoffen vor rund einem Jahr, dass die beiden Vakzine wegen einer sich ausbreitenden neuen Corona-Variante für die Massenimpfungen geändert werden müssten.

Wendepunkt im Impfgeschäft

Als erstes Land der Welt hatte Großbritannien im Dezember 2020 dem Impfstoff von Biontech eine Notfallzulassung erteilt. Die Impfkampagne des Landes startete am 8. Dezember 2020 mit einer 90 Jahre alten Frau.

Auch Cramer hält Vakzine mit der mRNA-Technologie für einen Wendepunkt im Impfgeschäft. „Es ist spektakulär, was die leisten können“, sagt er. „Sie können sehr schnell angepasst werden, sollten neue Varianten auftreten. Ich glaube, da steckt noch extrem viel Potenzial drin.“

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