Zeitzeuge Lehrer, Musiker und Christ aus Überzeugung

Uschi Geiger

Kantor Michael Grünwald erinnert im Online-Vortrag an Konrad Brütting – einen seiner Vorgänger. Zuhörer aus ganz Deutschland sind am Computer dabei.

 
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Konrad Brütting Foto: /pr.

Marktredwitz - Allmählich wird es zur Routine und erfreut sich großer Beliebtheit: Zum dritten Mal hatte der Historische Club Marktredwitz zum Online-Abend eingeladen und in Zusammenarbeit mit der Katholischen Erwachsenenbildung im Landkreis Wunsiedel (KEB) seinem Referenten eine große Bühne verschafft. Auch die Akademie Steinwald-Fichtelgebirge (ASF) war wieder als Kooperationspartner mit an Bord. Kantor Michael Grünwald lockte mit seinem Thema „Konrad Brütting: Lehrer-Rektor-Kantor“ außer dem treuen regionalen Publikum Geschichtsfans und „ausgewanderte“ Marktredwitzer aus ganz Deutschland an den Computer.

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50 Jahre Kantor

Konrad Brütting (1884 bis 1965) hatte das Kantorenamt an der evangelischen Stadtkirche Sankt Bartholomäus 50 Jahre lang inne, wie Grünwald vorausschickte. Als Quelle stand ihm außer Erzählungen und Erinnerungen der Familien Brütting/Beisbart und Material des Stadtarchivs vor allem ein Oktavheft Konrad Brüttings zur Verfügung, in das dieser über Jahrzehnte notiert hatte, was ihm bei der Ausübung seines Berufs relevant erschien. Ganz unterschiedliche Epochen umfasste Brüttings Dienstzeit, die dementsprechend auch Thema des Vortrags waren – ein anschauliches Ineinandergreifen von Lokal- und Weltgeschichte, heruntergebrochen auf das subjektive Erleben eines Einzelnen.

Wertkonservativer Christ

Die Zeit von der Gründung des Kaiserreichs bis zum Ersten Weltkrieg war eine vor allem von glühendem, auch fanatischem Nationalismus geprägte Epoche. Konrad Brütting, seit 1909 als Volksschullehrer und Kantor in Marktredwitz tätig, musste 1914 in den Krieg ziehen, aus dem er mit 34 Jahren zurückkehrte. Wie stand er dazu? Michael Grünwald schätzt ihn als einen „wertkonservativen Christen“ ein, der an die Monarchie glaubte. „Als Sozialdemokrat oder Kommunist wäre er gar nicht als Lehrer angestellt worden.“ Das Ende der Monarchie 1918 habe jedoch auch bedeutet, dass die evangelische Kirche plötzlich kein Oberhaupt mehr hatte, erläuterte Grünwald. „Die Demokratie erforderte ein gewaltiges Umdenken: Die Menschen waren nicht darauf vorbereitet, eine eigene Meinung zu haben oder politische Parteien zu wählen.“ Auch die Trennung von Staat und Kirche sei gewöhnungsbedürftig gewesen. Konrad Brütting nahm den Schuldienst wieder auf, ebenso den Kantorendienst. „Ein Lehrer“, schreibt er in sein Oktavheft, „ist auch Musiker und gehört an die Orgel.“ Selbstverständlich schien das nicht gewesen zu sein: In manchen Gemeinden gab es plötzlich keine Kantoren mehr; auch deshalb, so Grünwald, sei in Bayreuth die erste private Organistenschule Bayerns gegründet worden.

Dem Zeitgeist nicht verfallen

1928 übernahm Konrad Brütting auch die Gemeindechöre. Anhand seiner Liedauswahl für bestimmte Auftritte, so Grünwald, könne man recht gut sehen, dass er dem Zeitgeist des heraufdämmernden Nationalsozialismus in keiner Weise verfallen gewesen sei, im Gegenteil: Zum Gedenktag für die Gefallenen 1931 führte er mit dem Chor nichts Martialisches, sondern „Wie selig sind die Todten“ des jüdischen Konvertiten Mendelssohn Bartholdy auf.

Natürlich sei man ansonsten auch in Marktredwitz Hitler hinterhergelaufen, wie überall. Grünwald zeigte Aufnahmen von Uniformierten, jubelnden Menschen und nationalsozialistischen Hakenkreuzflaggen. Mit den Nazis habe sich für die evangelische Kirche eine Menge geändert, berichtete Grünwald: 1934 brach der sogenannte Kirchenkampf aus, in dessen Verlauf Hitler eine eigene Reichskirche gründen und mit einem Landesbischof von seinen Gnaden gefügig machen wollte. Eine tiefe Spaltung innerhalb der evangelischen Gemeinden in ganz Deutschland sei die Folge gewesen. Die Nationalsozialisten hätten sogar versucht, die Bibel umzuschreiben und Jesus als Nicht-Juden zu deklarieren.

Bemerkenswerter Mann

Konrad Brütting blieb davon unbeeindruckt und führte 1934 verbotenerweise das Stück „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“ des deutsch-jüdischen Komponisten Louis Lewandowski auf. Auch in seiner Eigenschaft als Rektor half Brütting offensichtlich, wenn es nottat: So schrieb er 1942 für einen Schüler dessen Zeugnis neu und ließ den Namenszusatz „Halbjude“ einfach weg. Aus der Nachkriegszeit gibt es laut Grünwald nicht mehr viele Einträge im Oktavheft; allerdings existieren noch Fotos: von Brütting selbst, der bis 1958 Rektor war, oder zum Beispiel von der Hochzeit einer Tochter. „Er war ein bemerkenswerter Mann“, sagt Michael Grünwald am Ende seines Vortrags, „ein gütiger, tiefreligiöser Mensch, der sich von seinem Glauben leiten ließ.“