Eigener Inhalt Heimat - ein Zauberwort

Norbert Wallet

Der Bundespräsident tut es, die Grünen tun es, die CSU sowieso und die AfD ohne Unterlass. Alle reden jetzt von Heimat. Ganz so,als sei der Begriff ein neues Zauberwort, das alles gut werden lässt, wenn es nur im richtigen Sinne ausgesprochen wird. Aber was ist der richtige Sinn? Hat es überhaupt einen Sinn?

 
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Zum Schweigen selbstverständlich ist Heimat dem, der sie hat. Wer von ihr redet, gibt eine Verlustanzeige auf. Etwas ist verloren gegangen, und das schmerzt. Vielleicht sind es Phantomschmerzen, denn bei Lichte besehen hat das, wonach all das Sehnen zielt, vielleicht nie bestanden. Wer einmal nach Jahren in die Orte der Kindheit zurückkehrt und nichts sieht als Veränderung und Bruch, der erkennt, dass viel von der behaglichen Heimeligkeit retrospektiver Tagträume nur der reparierende Nachbau einer nie gewesenen Wirklichkeit war. Aber auch falsche Träume können schön sein und Kraft entwickeln. Politische Sprengkraft auch.

Die kann man sich zunutze machen. Die AfD hat einen Wahlkampf mit den Slogan bestritten: "Dein Land. Deine Heimat. Hol sie Dir zurück." Man kann nicht sagen, dass er erfolglos war. Offenbar hat er eine Stimmung, ein Gefühl getroffen. Die anderen Parteien hat das mächtig durchgeschüttelt. Die Heimat nicht den Rechten überlassen – das ist das Leitmotiv. Aber wie geht das? Wie macht man Heimat konsenstauglich?

"Wir lieben dieses Land, das ist unsere Heimat, und diese Heimat spaltet man nicht", hat Katrin Göring-Eckardt, die Spitzenkandidatin im Bundestagswahlkampf, kürzlich auf dem Bundesparteitag der Grünen gesagt. Und obwohl der Satz bis an die Grenze zur Phrase allgemein ist, stieß er auf erbitterten Widerstand. Heimat sei ein ausgrenzender Begriff, giftete die grüne Parteijugend. Man solle lieber von Solidarität sprechen. Das zeigt, dass wer von Heimat spricht, einigermaßen wissen sollte, was er meint. Der grüne Umweltminister in Kiel, Robert Habeck, drückt das so aus: "Politik muss eine Idee formulieren. Eine Heimatidee. Eine Identitätsidee."

Die AfD hat da keine Probleme. Sie füllt den Begriff mit einer völkisch aufgeladenen Abgrenzung gegenüber Fremden. Trifft sie damit tatsächlich eine Stimmung? Das Wahlergebnis legt das nahe. Es gibt eine repräsentative infratest-Umfrage vom Oktober 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Gefragt wurde nach der Definition von Heimat. 89 Prozent der Befragten sagten, der Begriff erwecke bei ihnen ein positives Gefühl. Am stärksten verbunden werden mit ihm "Menschen, die ich liebe"
(92 Prozent) und "mein Zuhause, da, wo ich lebe" (88 Prozent). Geborgenheit und Sicherheit verbinden 86 Prozent mit Heimat. Die Abgrenzung zu Fremden kommt da nicht vor. Befragt, ob die derzeitige Zuwanderung die Bedeutung von Heimat verändere, antworteten 76 Prozent mit "nicht viel".

Das gibt einen wichtigen Hinweis. Heimat steht für Überschaubarkeit und Verstehbarkeit, für einen Platz, wo man sich nicht erst Zurechtfinden muss. Die Gegenwart sieht anders aus. Umwelten ändern sich. Im Osten ist ein ganzes Land weggebrochen. Damit die Arbeitsweise, die Familienstrukturen, sogar Verhaltensnormen. Die digitale Dampfwalze macht die Welt unverständlich für den, der sich nicht rasch anpasst. Investitionsentscheidungen in Peking beeinflussen Arbeitsprozesse im Vogtland oder auf der Schwäbischen Alb. In der Stadt planen Hipster mit Laptops ihre Start-ups – im Dorf schließt die letzte Arztpraxis. Heimat ist auch ein Schrei nach Ruhe.

Für die Politik steckt darin eine leidlich gute Nachricht. Wer dem Heimat-Slogan verfällt, ist nicht unbedingt Nationalist. Er bleibt für gute Politik erreichbar. Interessant, wie die Parteien darauf reagieren. In der CDU / CSU gewinnt gerade eine sehr pragmatische Sicht an Boden. Unions-Fraktionchef Volker Kauder will die Förderung ländlicher Räume zum Thema der Koalitionsverhandlungen machen: "Gerade in den ländlichen Gebieten – auch im Westen – herrscht verbreitet das Gefühl, mehr und mehr abgehängt zu werden. Wenn
erst die Schule schließt, dann Postamt und Sparkassen, haben die Menschen den
Eindruck, dass sich niemand um sie kümmert."

Die Chefs der Unionsfraktionen in den Ländern hatten sich schon im März dafür ausgesprochen, ein Bundes-Heimatministerium einzurichten. Aufgabe wäre, "gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu gewährleisten". In Bayern gibt es das schon. Die neue, CDU-geführte NRW-Landesregierung hat nachgezogen.

Das linke Spektrum hat einen anderen Heimatbegriff – oder sucht danach. Heimat an Boden und Scholle zu knüpfen, ist dort verdächtiger, weil man darin Nachklänge an die Nazi-Ideologie erkennt. Besonders in der Linkspartei ist Heimattümelei eigentlich tabu. Was man auch ein bisschen ironisch finden kann, denn tatsächlich war die PDS zunächst eine reine Ostpartei, die sich mit ihrem Kümmerer-Anspruch intensiv darum bemühte, die bedrohte Ost-Mentalität liebevoll zu pflegen. Die Partei wird aber durchaus nicht mehr als natürlicher Sachwalter ostdeutscher Interessen verstanden, wie die Wahlergebnisse zeigen. Da hat ihr die AfD vielerorts den Rang abgelaufen.

Kein Wunder, dass auch die Linkspartei Orientierungsdebatten führt, in denen es auch um den Umgang mit dem Heimat-Thema geht. Der Berliner Staatssekretär Alexander Fischer und der thüringische Staatskanzlei-Chef Benjamin-Immanuel Hoff haben ein Strategiepapier verfasst. Darin sprechen sie von einer Heimatdebatte, die klug genutzt "diesmal weder deutschtümelnd noch abgrenzend" sein müsse. Den Heimatbegriff "pauschal abzulehnen, wäre ein Fehler", heißt es in dem Konzept. Sie geben als neue Leitidee aus: "Links ist da, wo Menschen eine sichere Heimat (auch in der Fremde) und damit Zukunft und Möglichkeitsräume haben." Die Linke dürfe jedenfalls "den Wunsch nach Beheimatung nicht als ewiggestrig abtun".

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Rede am Tag der deutschen Einheit ein der Zukunft zugewandtes Modell gezeichnet. Die Sehnsucht nach Heimat dürfe man nicht denen überlassen, "die Heimat konstruieren als ein Wir gegen Die, als Blödsinn von Blut und Boden, die eine deutsche Vergangenheit beschwören, die es so nie gegeben hat." Steinmeier sieht im Heimatbegriff, durchaus in einer langen Tradition linken Denkens verhaftet, etwas, das in die Zukunft weist. "Heimat", sagt er, "ist der Ort, den wir als Gesellschaft erst schaffen". Ein Ort des Verstehens und des Miteinanders. Der Reiz daran: Diese Heimat ist offen für Neuankommende. Sie will errungen werden. Sie ist kein fester Ort, sondern ein künftiger Zustand. Eigentlich ist sie also Utopie.

Ernst Bloch wirkt da heimlich, aber mächtig nach. Am Ende seines Werkes "Prinzip Hoffnung" bringt er es auf die berühmte Formel: "Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat."