Eigener Inhalt Einatmen. Ausatmen. Stillsitzen

Gertrud Pechmann

Wir haben unsere Reporterin Gertrud Pechmann zum Meditieren ins Kloster geschickt.

 
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Sitzen soll ich. Nur sitzen. Wie die übrigen 58 Teilnehmer hocke ich also auf einem Kissen. Der Blick geht zum Boden, die Hände sind zu Schalen geformt. Der Ton der Klangschale verliert sich langsam im großen Meditationssaal des Benediktushofes. Während der nächsten Tage wird ein Sonnenstrahl auf dem Holzfußboden zum Anker für meine Augen. Äußerlich in Ruhe, beherrschen bald Gedanken mein Inneres: Wie lange wohl die Runde noch dauert? Wird mein Bein einschlafen? Und oh, tut mir der Rücken weh. Wie soll ich das zweieinhalb Tage lang durchhalten?

"Zen ist keine Entspannungsübung", sagt Meditationslehrer Alexander Poraj. "Die stellt sich aber quasi als Nebeneffekt ein." Wirklich? Ich empfinde das stille Sitzen, wie die Zen-Praxis auch genannt wird, körperlich und geistig durchaus als Herausforderung. "Am Anfang ist es schwierig, fast unmöglich", gibt Alexander Poraj zu und lächelt fein. "Die meisten Menschen heute haben ein großes Ruhedefizit. Deshalb fällt es uns schwer, wach und gleichzeitig entspannt zu sein."

So ist es. Oft fühle ich mich während der vielen Sitz-Runden wie kurz vor dem Einschlafen. Das sei normal, meint Zen-Lehrer Poraj, der die Meditationen anleitet. Er spornt mich an, weiterzumachen, nicht nachzulassen. "Im Sitzen übt man auch eine innere und äußere Haltung der Gegenwart ein, darum geht es."

Genau deswegen habe ich mich entschieden, es mit der Meditation zu probieren: Sie soll eine gute Lebensbalance ermöglichen, die Achtsamkeit für sich selbst und andere schulen. Der Benediktushof gilt als ein guter Lernort: 2003 von dem Benediktiner und Zen-Meister Willigis Jäger im unterfränkischen Holzkirchen gegründet, ist das Haus mittlerweile weit über die Grenzen Deutschlands bekannt. 2009 gründete Willigis Jäger seine eigene Zen-Linie, die "Leere Wolke". Sein Anliegen: Zen soll Menschen helfen, sich persönlich zu entfalten.

"Der Benediktushof gehört keiner Religion an und vertritt keine Konfessionszugehörigkeit. Er will zeitgemäße Spiritualität vermitteln, aber die Menschen nicht vereinnahmen", betont Poraj. Die Kurse im Haus fänden deshalb "ohne das Disneyland fremder Kulturen, dafür mit Schwerpunkt auf der Übung" statt. Deshalb ist die Meditationshalle auch schlicht eingerichtet. Eine Buddha-Statue gibt es hier nicht. Dafür stehen mehrere Gongs, eine große Klangschale und Räucherstäbchen bereit. An den Seiten sitzen die Teilnehmer.

Vielleicht ist es das, was die Menschen hierherzieht: Sie fühlen sich hier frei, obwohl die Zen-Kurse viel Disziplin verlangen: "Ihr seid hier pünktlich, wenn ihr fünf Minuten vor der Zeit schon auf eurem Platz seid", schärft Rudolf Faber, der für den organisatorischen Ablauf des Kurses sorgt, uns Teilnehmern ein. Der Tag im Benediktushof beginnt um 5.15 Uhr.

Jeder Teilnehmer hat sich darum zu kümmern, dass sein Sitzplatz ordentlich aussieht. Außerdem hilft jeder täglich eine Stunde bei der Hausarbeit. Auf den Gängen und im Speisesaal, in den Gärten des Benediktushofes und im Innenhof herrscht Stille. Telefongespräche in den Zimmern sind unerwünscht. Trotzdem kommt das Konzept an. Alleine für die Zen-Kurse kommen pro Jahr etwa 3000 Teilnehmer nach Holzkirchen.

Tatsächlich genieße ich die Ruhe im Haus. Nicht zu reden ermöglicht es mir, bei mir zu bleiben. Ich habe ein Zimmer, drei Mahlzeiten am Tag, einen geregelten Tagesablauf – ich muss wirklich nur sitzen. Ganz da sein. Nicht denken. Trotzdem schafft es mein Verstand, mich während des Sitzens in Gedanken zu verstricken. Dann versuche ich, jeden Atemzug bewusst wahrzunehmen. Und erlebe auf meinem Sitzkissen einige besondere Augenblicke. Für einen Bruchteil von Sekunden fühle ich mich so klar und fokussiert wie selten.

Überrollen mich Gedanken, nehme ich sie zur Kenntnis. Außerdem kann ich mich immer auf die nächste Meditation freuen. Tatsächlich ist das "Sitzen in Stille" abwechslungsreich: Nach jeder Runde folgt eine Gehmeditation, einmal am Tag gibt es einen Vortrag, außerdem besteht die Möglichkeit zu Einzelgesprächen. Fazit am Ende des Kurses: Zen ist eine gute Übung für mich. Zu Hause lässt der Trainingseifer allerdings nach. Das wurmt.

Da bekomme ich die Einladung zu einem Schnuppertag in christlicher Kontemplation. Veranstalter ist der Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing e.V.. Darin heißt es: "Wer erste Erfahrungen mit diesem Gebetsweg in der Stille machen möchte, ist herzlich eingeladen." Gibt es Meditation etwa auch im Christentum?

"Es geht darum, ganz da zu sein, das wahrzunehmen, was gerade ist", erklärt Kontemplationslehrerin Karin Baltruschat, eine Schülerin des bekannten Jesuiten Franz Jalics. "Ich bin in dieser Art des Gebets vor Gott so wie ich bin und lasse mich auf die Stille ein." Das klingt ja ähnlich wie im Benediktushof. Auch wenn ich statt auf einem Kissen auf einem Stuhl im Gemeindehaus St. Lorenz in Hof Platz nehme.

Wir beginnen mit einer Körperwahrnehmungs-Übung, dann sitzen wir still. Ausatmen, einatmen. Wer will, kann auch die Hände ausbreiten. Nach jeder Runde teilen wir unsere Erfahrungen miteinander – die ganz ähnlich sind wie in der Zen-Meditation. Karin Baltruschat erklärt uns, dass schon christliche Mystiker wie Hildegard von Bingen und Franziskus von Assisi auf diese Weise Gott gesucht haben. "Sie haben gespürt, dass ihre Aufmerksamkeit ein Ziel hat: Gott." In diesem Moment macht es klick. Ich spüre: Genau das ist es für mich. Die Kontemplation berührt mein Herz. Hier bin ich zu Hause.

Kurse Karin Baltruschat hält am 5. Oktober 2019 und am 25. Januar 2020 Einführungskurse zum Thema Kontemplation im Gemeindehaus St. Lorenz, Anmeldung unter E-Mail baltruschatkarin@gmail.com

Kontemplation Mit Kontemplation wird der mystische Weg im Christentum bezeichnet. Mit dem Gegenwärtig-Sein in jedem Moment soll eine direkte Erfahrung Gottes möglich werden. Äußerlich gleicht die Kontemplation dem Zen: Oft wird im Sitzen und in Stille geübt. Anders als beim Zen gibt es aber ein Gegenüber, das der Übende bewusst sucht: Gott.

ZenZen ist die japanische Lesart des chinesischen Chan (deutsch: "Versenkung") und entwickelte sich im Buddhismus. Die Methode des Sitzens in Stille entwickelte sich um das siebte und achte Jahrhundert in China und kam im elften und zwölften Jahrhundert in Japan an. Dort lernten sie christliche Missionare Ende des 19. Jahrhunderts kennen und brachten sie nach Europa.

Buchtipps Zum Ansatz von Willigis Jäger und seiner Zen-Linie "Leere Wolke": "Zen im 21. Jahrhundert" von Willigis Jäger/Doris Zölls/Alexander Poraj, Bielefeld, 2017
Zum christlichen Jesusgebet von Franz Jalics – mittlerweile ein Klassiker: "Kontemplative Exerzitien. Eine Einführung in die kontemplative Lebenshaltung und in das Jesusgebet" von Franz Jalics, Würzburg, 2009
Für Einsteiger, die einen Überblick über die verschiedenen Meditationsarten suchen: "Meditation. Eine praktische Anleitung" von Giovanni Dienstmann, München, 2018. Anleitungen im Buch und auf der beiliegenden CD (geführte Meditationen).