Vielleicht ist es das, was die Menschen hierherzieht: Sie fühlen sich hier frei, obwohl die Zen-Kurse viel Disziplin verlangen: "Ihr seid hier pünktlich, wenn ihr fünf Minuten vor der Zeit schon auf eurem Platz seid", schärft Rudolf Faber, der für den organisatorischen Ablauf des Kurses sorgt, uns Teilnehmern ein. Der Tag im Benediktushof beginnt um 5.15 Uhr.
Jeder Teilnehmer hat sich darum zu kümmern, dass sein Sitzplatz ordentlich aussieht. Außerdem hilft jeder täglich eine Stunde bei der Hausarbeit. Auf den Gängen und im Speisesaal, in den Gärten des Benediktushofes und im Innenhof herrscht Stille. Telefongespräche in den Zimmern sind unerwünscht. Trotzdem kommt das Konzept an. Alleine für die Zen-Kurse kommen pro Jahr etwa 3000 Teilnehmer nach Holzkirchen.
Tatsächlich genieße ich die Ruhe im Haus. Nicht zu reden ermöglicht es mir, bei mir zu bleiben. Ich habe ein Zimmer, drei Mahlzeiten am Tag, einen geregelten Tagesablauf – ich muss wirklich nur sitzen. Ganz da sein. Nicht denken. Trotzdem schafft es mein Verstand, mich während des Sitzens in Gedanken zu verstricken. Dann versuche ich, jeden Atemzug bewusst wahrzunehmen. Und erlebe auf meinem Sitzkissen einige besondere Augenblicke. Für einen Bruchteil von Sekunden fühle ich mich so klar und fokussiert wie selten.
Überrollen mich Gedanken, nehme ich sie zur Kenntnis. Außerdem kann ich mich immer auf die nächste Meditation freuen. Tatsächlich ist das "Sitzen in Stille" abwechslungsreich: Nach jeder Runde folgt eine Gehmeditation, einmal am Tag gibt es einen Vortrag, außerdem besteht die Möglichkeit zu Einzelgesprächen. Fazit am Ende des Kurses: Zen ist eine gute Übung für mich. Zu Hause lässt der Trainingseifer allerdings nach. Das wurmt.
Da bekomme ich die Einladung zu einem Schnuppertag in christlicher Kontemplation. Veranstalter ist der Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing e.V.. Darin heißt es: "Wer erste Erfahrungen mit diesem Gebetsweg in der Stille machen möchte, ist herzlich eingeladen." Gibt es Meditation etwa auch im Christentum?
"Es geht darum, ganz da zu sein, das wahrzunehmen, was gerade ist", erklärt Kontemplationslehrerin Karin Baltruschat, eine Schülerin des bekannten Jesuiten Franz Jalics. "Ich bin in dieser Art des Gebets vor Gott so wie ich bin und lasse mich auf die Stille ein." Das klingt ja ähnlich wie im Benediktushof. Auch wenn ich statt auf einem Kissen auf einem Stuhl im Gemeindehaus St. Lorenz in Hof Platz nehme.
Wir beginnen mit einer Körperwahrnehmungs-Übung, dann sitzen wir still. Ausatmen, einatmen. Wer will, kann auch die Hände ausbreiten. Nach jeder Runde teilen wir unsere Erfahrungen miteinander – die ganz ähnlich sind wie in der Zen-Meditation. Karin Baltruschat erklärt uns, dass schon christliche Mystiker wie Hildegard von Bingen und Franziskus von Assisi auf diese Weise Gott gesucht haben. "Sie haben gespürt, dass ihre Aufmerksamkeit ein Ziel hat: Gott." In diesem Moment macht es klick. Ich spüre: Genau das ist es für mich. Die Kontemplation berührt mein Herz. Hier bin ich zu Hause.
Kurse Karin Baltruschat hält am 5. Oktober 2019 und am 25. Januar 2020 Einführungskurse zum Thema Kontemplation im Gemeindehaus St. Lorenz, Anmeldung unter E-Mail baltruschatkarin@gmail.com
Kontemplation Mit Kontemplation wird der mystische Weg im Christentum bezeichnet. Mit dem Gegenwärtig-Sein in jedem Moment soll eine direkte Erfahrung Gottes möglich werden. Äußerlich gleicht die Kontemplation dem Zen: Oft wird im Sitzen und in Stille geübt. Anders als beim Zen gibt es aber ein Gegenüber, das der Übende bewusst sucht: Gott.
ZenZen ist die japanische Lesart des chinesischen Chan (deutsch: "Versenkung") und entwickelte sich im Buddhismus. Die Methode des Sitzens in Stille entwickelte sich um das siebte und achte Jahrhundert in China und kam im elften und zwölften Jahrhundert in Japan an. Dort lernten sie christliche Missionare Ende des 19. Jahrhunderts kennen und brachten sie nach Europa.
Buchtipps Zum Ansatz von Willigis Jäger und seiner Zen-Linie "Leere Wolke": "Zen im 21. Jahrhundert" von Willigis Jäger/Doris Zölls/Alexander Poraj, Bielefeld, 2017
Zum christlichen Jesusgebet von Franz Jalics – mittlerweile ein Klassiker: "Kontemplative Exerzitien. Eine Einführung in die kontemplative Lebenshaltung und in das Jesusgebet" von Franz Jalics, Würzburg, 2009
Für Einsteiger, die einen Überblick über die verschiedenen Meditationsarten suchen: "Meditation. Eine praktische Anleitung" von Giovanni Dienstmann, München, 2018. Anleitungen im Buch und auf der beiliegenden CD (geführte Meditationen).