Eigener Inhalt Auf einen Tanz mit Giulia

Wolfgang Plank

Alfa Romeo startet in Balocco die "Accademia di Guida". Ein Ausflug ins Niemandsland der Fahrphysik ...

 
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Zu Goethes Zeit war Ostern Lustwandeln. Natürlich. Heutzutage reist man karossiert in die Feiertage, was im doppelten Sinne kein Spaziergang ist. Schon gar nicht in der Kolonne, erst recht nicht im Stau. Und stets fährt das Risiko mit, dass zwischen sicherer Ankunft und Totalschaden oft nur Winzigkeiten entscheiden. Ein paar Schneeflocken, ein Tick zu viel Tempo, ein klitzekleiner Moment der Unaufmerksamkeit – oder das Manöver eines anderen, mit dem man nicht gerechnet hat.

Dabei ließen sich viele heikle Situationen meistern. Wenn man geübt wäre im richtigen Bremsen, im exakten Lenken, im klugen Reagieren. Wenn man Routine hätte im Erspüren dessen, was das Auto kann, was man selbst – und was eben nicht.

Ab diesem Sommer bietet Alfa Romeo genau dafür einen Streifzug an. Einen Ausflug ins Niemandsland der Fahrphysik. Tatort: Das 550 Hektar große Test-Areal "Balocco". Hier, zwischen Mailand und Turin, bringt der Fiat-Konzern Erlkönige an Grenzen – und die "Accademia di Guida" Autofahrer. Mit jeder Menge Freiraum jenseits der Fahrbahn lässt sich dort erleben, was man so gerne verdrängt. Dass schon ein bisschen zu schnell viel zu schnell sein kann. Dass ein klein wenig Glätte alle Haftungsfragen mit Nein beantwortet. Und dass Naturgesetze auch für Stabilitätsassistenten gelten.

Zu lernen gibt es viel. Sehr viel sogar. Dass man ein rutschendes Auto sehr wohl noch steuern kann. Dass es einen gewaltigen Unterschied macht, an welcher Achse die Räder treiben. Und dass man unendlich Spaß haben kann an gepflegter Querfahrt.

Dafür sorgt vor allem Giulia. Sie kommt erhobenen Hauptes und mit stolzer Figur. Und sie geizt weder mit Reiz noch mit Herz. Besonders als Top-Modell Quadrifoglio. Gewaltige 510 PS liefert der variabel geladene 2,9-Liter-V6 an die Hinterachse. Oder einfacher gesagt: Vortrieb immer und überall. Allerdings erfordert die starke Signorina höchste Aufmerksamkeit – und ein gerüttelt Maß an Disziplin. Besonders dann, wenn man die stabilisierende Elektronik stufenweise zurückdrängt.

Dass feige sei, wer bremst, und ähnliche Sprüche hört man in der "Accademia di Guida" nicht. Wäre auch ziemlicher Quatsch. Denn wer nicht bremst, war vor der Kurve womöglich nicht schnell genug. Eher stimmt, dass länger schnell ist, wer später bremst. Die Instruktoren – allesamt Renn- und Rallyefahrer – kennen derlei Weisheiten zur Genüge. Vor allem aber wissen sie, wie es wirklich geht. Wo es um Bruchteile von Sekunden geht, zählt jeder Tipp. Sie haben viele davon – und eine Ernüchterung: Jahre an Erfahrung kann man in ein paar Stunden nicht aufholen. Leider.

Auch nicht das Gefühl für den optimalen Grip. Je mehr der Reifen in Längsrichtung leisten muss, desto weniger stemmt er beim Lenkeinschlag. Pfeifen, rutschen, Ende. Für ein modernes ESP kein Problem. Für manche Fahrer schon. Es ist wie auf der Straße. Den ersten Schlenker schaffen die meisten im Reflex, das blitzschnelle Gegenlenken oft nicht mehr. Von derlei Fehlversuchen zeugen nicht nur zu Ostern schwarze Spuren, die sich erst ineinander winden und dann im Graben enden oder an der Leitplanke.

Und ja: Augen auf bei der Linien-Wahl. Nichts kostet so viel kostbare Zeit wie der unperfekte Weg. Auch wenn man den Scheitelpunkt kennt – zu früh am Gas, einen Tick zu spät eingelenkt: Prompt sind wieder Zehntel beim Teufel. Allein schon das Bremsen macht den Unterschied zwischen Anfänger und Profi. Nicht ohne Grund widmen sie diesem Thema bei Alfa ganz besondere Aufmerksamkeit. Als erster Hersteller setzt man dort auf "Brake by Wire" in einem Serienauto. Das Pedal steuert zwar die Bremskraft, den Druck indes liefert der Wagen.

Gefühl zählt auch auf der gewässerten Kreisbahn, wo der Grat verdammt schmal ist zwischen Untersteuern und Pirouette. Der Rallye-Legende Walter Röhrl verdanken wir die treffende Beschreibung, wonach ein Drift die hohe Kunst ist, einen instabilen Zustand stabil zu halten.

Mit dem Stelvio "Quadrifoglio" geht das deutlich leichter als mit der Giulia. Weil er zuallererst ein Alfa ist und danach ein SUV. Weil er stolz das Kleeblatt trägt, das seit den 1960er-Jahren die besonders Sportlichen der Marke ziert. Und weil sein vorderes Differenzial einen Hauch länger übersetzt ist als das hintere. Das macht ihn zum einzigen Allradler, bei dem man das Heck spielerisch leicht vorauseilen lassen kann.

Am Ende des Tages haben sich in Balocco dann diverse 19-Zöller aufgerieben für die Erkenntnis, dass auch mit Übung nicht alles geht – aber verdammt viel. Wenn man nur weiß, wie. Und wer derlei für einen Spaziergang hält, hat keine Ahnung.