Eigener Inhalt Die schlaue Effizienz

Wolfgang Plank

Es gibt Kalender, die sind höchst überschaubar. So einer ist der für die Sportwagen-Weltmeisterschaft. Auftakt ist an diesem Wochenende in Silverstone. Und nach dem Rennen ist vor dem Rennen. Vor allem aber ist vor Le Mans. Ein heiliger Termin. Traditionell am zweiten Wochenende im Juni. Heuer ist es ausnahmsweise das dritte. Egal. Was den Christen Ostern, ist Sportwagen-Gläubigen Le Mans. Natürlich geht es um eine WM. Und alle wollen den Titel. Fahrer, Teamchefs, Ingenieure, Mechaniker. Aber noch mehr wollen sie den Sieg auf dem Circuit de Sarthe.

 
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Am meisten wollen sie ihn ganz sicher bei Toyota Gazoo Racing. TGR hat eine Rechnung offen mit den 13,6 Kilometern und den 21 Kurven. Wären es die 23 Stunden und 56 Minuten von Le Mans – die Japaner hätten 2016 gewonnen. Haushoch. Anderthalb Minuten Vorsprung auf Porsche. Doch in der letzten von 384 Runden rollte der TS050 aus. Drei Minuten und 20 Sekunden vor dem Fallen der Flagge. Ein Stecker zwischen Turbo und Ladeluftkühler hatte den Geist aufgegeben.

So grausam kann Motorsport sein. "To finish first – first you have to finish", besagt darum die älteste Weisheit der Zunft. Um Erster im Ziel zu sein, muss man erst mal im Ziel sein. Und also gewann am Ende Porsche, Toyota war Sieger der Herzen. Woanders mag das ein Trost sein. Aber nicht hier. Nicht in Le Mans.

Darum soll dieses Mal alles anders laufen. Besser. Zufall, das wissen sie, ist für Amateure. Und also haben sie am Tag danach begonnen mit dem Tüfteln, dem Konstruieren – und dem Testen. In Köln vor allem, aber auch in Japan. Mehr als 30 000 Kilometer haben sie mit dem neuen
Wagen abgespult. Sind mehrmals 30 Stunden am Stück gefahren. Nur nicht wieder so eine Tragödie.

Beim offiziellen Prolog Anfang April in Monza scheint alles im Lot. Porsche schnurrt, Toyota brummt. Genauer ist es Brüllen gegen Dröhnen. Die Zeiten: dicht an dicht. Was das heißt? Nichts. Testen ist auch Pokern. Natürlich sind die Zuffenhausener nicht letzte Rille gefahren. Steht zu vermuten. Und auch nicht die Jungs von Toyota. Höchstwahrscheinlich. Ernst wird es an diesem Sonntag. Dann wird sich zeigen, wer das bessere Auto gebaut hat. Zumindest für die sechs Stunden von Silverstone.

Ob auch für Le Mans – dafür wird der WEC-Auftakt sicher Erkenntnisse liefern. Ob die Reifen über die vierfache Distanz halten werden und die Motoren. Vor allem aber, ob man dort 14 Runden mit einem Tank wird fahren können. Denn dass der Schnellste gewinnt, war einmal. Heute siegt über 24 Stunden der Schlaueste. Der das bisschen Sprit am effizientesten verbrennt. Genau dahin hat man über die Jahre das Reglement getrimmt. Und darum ist der Toyota TS050 ein Gesamtkunstwerk. Mit nur einem Ziel: mehr aus wenig herauszuholen.

Leisten soll das ein neuer 2,4-Liter-Biturbo. Höher verdichtend als der alte. Neuer Block, neuer Kopf, neu eigentlich alles. Zu den Drehzahlen gibt’s ein freundliches Lächeln. Nur so viel: Rund 500 PS reicht der V6-Benziner an die Hinterachse. Dazu kommen noch mal 500 über den Strom, den die Bremsen liefern. Wie beim Straßen-Hybrid auch. Die Kraft der zwei Herzen. Im Prinzip ist der TS050 ein besserer Prius. Ein sehr viel besserer. Denn das, was der Toyota für ein paar wertvolle Sekunden aus dem neuen Batterie-System saugt, wird nach vorne und hinten verteilt. Einstellbar nach Strecke, Wetter oder Fahrstil. Ein variabler Allradantrieb.

Diese Kraft gilt es klug einzusetzen. Am besten auf einer Geraden. Und wenn sie verbraucht ist, muss schnell nachgeladen werden. Deswegen bremst der Toyota zuerst rein elektrisch und nur zum Schluss mechanisch. Diesen Übergang für sensible Rennfahrer-Füße unspürbar zu machen, war eine der großen Herausforderungen für die Ingenieure. Der Lohn: kleinere Bremsen und weniger Verlust durch Wärme. In Le Mans zählen selbst Winzigkeiten.

Bis hin zum Fahrstil. Denn je Runde dürfen die Prototypen der Klasse 1 dort nur gut viereinhalb Liter Sprit verbrennen. Zu wenig, um stets Vollgas zu fahren. Also werfen die Fahrer nicht 100 Meter vor der Kurve brutal den Anker, sondern gehen schon bei 200 Metern vom Gas, rollen mit 300 Sachen dahin und bremsen dann. "Segeln" nennen sie das – und tief im Herzen hassen sie es. Weil es nicht die schnellste Art zu fahren ist, nur eben die effizienteste. Kostet ein wenig Zeit, spart aber Sprit. Der Schnitt liegt trotzdem jenseits von 240. Auch in der Nacht.

Nach Silverstone folgt noch Spa, dann kommt es zum Showdown in Frankreich. Ganz klassisch. Nach dem Rückzug von Audi tatsächlich ein Duell. Toyota will den ersten Sieg. Unbedingt. Porsche den Hattrick. Auch unbedingt. Zweiter? Bloß nicht. Nicht hier. Nicht in Le Mans.